Hessen
Kaum sind Knaben und Mädchen der Schule entwachsen, so entwerfen in den Dörfern der hessischen Provinz Starkenburg die Eltern schon Pläne zu einer vorteilhaften Verheiratung ihrer Kinder. In manchen Ortschaften soll es vorkommen, dass die Bekanntschaften zwischen den Kindern beiderlei Geschlechtes bereits in der Schule von den Eltern eingeleitet werden, so dass man in vielen Fällen vorauswissen kann, welche Personen sich einst ehelichen werden. Ist diese Vorsorge versäumt worden, so wird sicherlich dem Burschen von 17-18 Jahren von der Mutter oder einer deren Stelle vertretenden Base ein passendes Mädchen für den Tanz vorgeschlagen. In der Kegel macht der Bursche Einwendungen gegen die Beschränkung seiner Wahl. Er wird jedoch mit den Worten: "Das will ich dir sagen, dass du mir ja nicht etwa einmal kommst mit Einer, die nichts hat" kurz abgefertigt, nimmt sich den Bescheid zu Herzen, und - erscheint bei allen Bohnenschnitten (Versammlungen zu gemeinschaftlichem Bohnenschneiden), welche die für ihn Gewählte besucht. Beim Nachhausegehen drängt er sich als Begleiter an ihre Seite und sucht eine angenehme Unterhaltung anzuspinnen, indem er fragt: "Hat eure rote Kuh noch kein Kalb?" oder: "Habt ihr eure fetten Schweine schon verkauft?"
Mit dem Winter werden die Bande, welche die jungen Leute für's ganze Leben an einander ketten sollen, allmählich fester geknüpft. Der Bursche tritt fast jeden Abend in die Behausung seines Mädchens, setzt sich ohne Umstände hinter den Tisch oder legt sich auf die Ofenbank, das Sofa der Landleute, und raucht seine Pfeife oder schläft wohl auch ein.
Endlich kommt die Zeit der Entscheidung, die Kirchweih oder Kirmes. Acht Tage vor derselben trägt der Bursche gegen Abend eine Flasche Wein oder Apfelwein in's Haus des Mädchens, stellt sie auf den Tisch und erklärt, dass er sich die Liese oder Grete zum Kirchweihmädchen erkoren habe. Wird die Flasche angenommen, ist sein Wunsch gewährt; wird sie aber zurückgewiesen, was indessen selten geschieht, der Bewerber müsste denn einige Morgen Landes weniger haben, als das Mädchen, so kann er Jahre lang auf den Hohn seiner Kameraden rechnen und annehmen, dass die Heirat nie zu Stande kommt.
Im ersteren Fall führt der Bursche das Mädchen zum Tanz, erhält von ihm den mit vielfarbigen Bändern geschmückten Kirmesstrauß, der an die Mütze befestigt wird, und setzt nun seine Bewerbungen in der bisherigen Weise zwei, auch drei Jahre hinter einander fort, bis die Hochzeit ernstlich beschlossen wird.
Dann kommen die Eltern oder nächsten Anverwandten zusammen, und der förmliche "Versprach" findet statt. Das Mädchen wird vom Liebhaber gefragt, ob es ihn heiraten wolle, und wenn es "das Jawort von sich gibt", händigt ihm der nunmehrige Bräutigam einen Kronentaler ein, wodurch das Verhältnis unauflösbar wird. Geschieht dieser Akt während der Kirmes, so bindet in Dietzenbach und andern Dörfern der Wirt ein Band um die Flasche oder den Krug, woraus der Bursche mit seinem Mädchen trinkt.
An einigen Orten Hessens gibt der Bräutigam der Braut als Zeichen der tatsächlich vollzogenen Verlobung das in Schaumünzen oder drei Münzsorten bestehende "Treugeld", und empfängt dagegen von ihr einen goldenen oder silbernen Ring, welcher hin und wieder auch von dem Bräutigam statt des Treugeldes gegeben wird. Nicht selten wird dieser Akt an einem der nächstfolgenden Tage vor dem Geistlichen zum Zweck des kirchlichen Aufgebots wiederholt, und hat dann selbst vor dem Ehegericht oder Konsistorium
volle Rechtsgültigkeit. Mitunter pflegt man während des Handschlags, welcher als Bekräftigung des Versprechens dient und deshalb auch die Verlobung bezeichnet, irdene Töpfe wider die Haustüre zu werfen.
Die Eltern des Brautpaares setzen sodann in Gegenwart mehrerer Zeugen durch eine Verschreibung die gegenseitige Mitgift fest, und bestimmen zugleich, zu welcher Zeit die Hochzeit gehalten werden und ob diese nach altem Brauch vier Tage, oder nach neuem einen oder zwei Tage dauern solle. Durch den Weinkauf, der entweder ein "nasser" oder ein "trockener" ist, wird diese Übereinkunft rechtskräftig gemacht.
In Friedberg in der Wetterau kommen am Tage des Weinkaufs die andern Burschen Abends vor das Haus, wo er stattfand, und machen mit Peitschen und alten Gießkannen einen furchtbaren Lärm, den sogenannten "Schlamassel", wofür sie einen Freitrunk bekommen.
Sind die Heiratspapiere in Ordnung, zieht der Bräutigam sein neues Wams an und geht zum Herrn Pfarrer, um diesen zu bitten, die übliche "Proklamation" zu vollziehen. Beim ersten Aufgebot erscheint dem Herkommen gemäß weder Braut, noch Bräutigam in der Kirche. Beim zweiten wohnen jedoch Beide in schönstem Putz dem Gottesdienste bei, und die Braut wird der Gegenstand der allgemeinen Neugierde und - Kritik, indem namentlich diejenigen Mädchen, an deren Türe noch kein Freier pochte, viel zu tadeln an ihr finden.
In manchen Dörfern muss der Bräutigam allein an jedem der drei Sonntage, an denen das Aufgebot erfolgt, in die Kirche gellen und zwar den Hut mit Band und Rosmarin geschmückt.
Während dieser Zeit machen die beiden Brautleute die enorme Reise nach der nächsten Stadt, um das Gesangbuch und den Muff oder "Stauchen" einzukaufen. Schon ganz früh des Morgens fährt man auf einem mit zwei Pferden, bespannten großen Leiterwagen ab, und die Braut, welche vielleicht noch nie aus den Marken ihres Dorfes gekommen ist und die weite Entfernung fürchtet, seufzt beim Aufsteigen mit wahrer Herzensangst: "Ach Gott, wenn uns nur nichts passiert!" Sie erreichen indessen ohne jeden Unfall das Ziel ihrer Fahrt, machen ihre Geschäfte ab und gehen nun in's Wirtshaus, wo sie gut zu Mittag essen und viel Wein von den besten Sorten trinken, denn der Bräutigam will, dass seine Braut noch lange dieses Tages gedenken soll.
Acht Tage vor der Trauung, in vielen Orten am Donnerstag vor dem dritten Aufgebot begeben sich die Pathen der Brautleute, oder in Ermangelung derselben zwei nahe Verwandte, welche die Pathenrolle während der ganzen Hochzeit übernehmen, gegen Abend in das Pfarrhaus. Der Pfarrer fordert sie auf, sich zu setzen, sie dürfen es aber der Sitte gemäß nicht eher tun, als bis sie auf seine Frage nach ihrem Begehr geantwortet haben:
"Einen schönen Gruß von N. N. und seiner Braut N. N.! Bis Dienstag wollen sie ihren Ehrentag halten. Da sollt Ihr ihnen die Ehr' und Lieb' antun, dabei mit Groß und Klein zu erscheinen und verzehren helfen, was Küch' und Keller vermag."
Noch ausführlicher lautet der herkömmliche Spruch in Dietzenbach:
"Hier schickt uns her der Herr Hochzeiter N. N. und seine geliebte Jungfer Braut N. N.; die lassen Ihm (d. h. dem Pfarrer) anzeigen, dass sie künftigen Dienstag ihren hochzeitlichen Ehrentag halten wollen und den soll Er mit helfen schmücken, zieren und leisten; nach geendigtem Gottesdienste mit nach Hause gehen und helfen verzehren, was Küch' und Keller vermag und was der liebe Gott beschert, und da sollen sich einfinden der Herr Pfarrer und die Frau Pfarrerin, Söhn' und Töchter, Knecht' und Mägd'; - und wenn sie (d. h. des Eingeladenen Familie) heut oder morgen in denselben Fall kommen, so wollen sie (d. h. die Brautleute) auch wieder dienen."
Mit diesen, im Munde der Landleute seltsam klingenden hochdeutschen Worten, die man natürlich je nach den Personen abwandelt, werden nach dem Herrn Pfarrer auch alle Verwandte und Freunde des Brautpaares eingeladen, und in jedem Hause wird Wurst, Butter und Käse aufgetragen, wobei es an
Apfelwein nicht fehlen darf. Man hat hier Gelegenheit, die deutsche Ess- und Trinklust zu bewundern, und ohne einen tüchtigen Rausch kommt keiner der Hochzeitslader davon.
Am darauffolgenden Sonntag zieht das junge Volk, welches an der Hochzeit Teil nimmt, auf die benachbarten Dörfer, um Rosmarin einzukaufen, der bei den Festlichkeiten unentbehrlich ist, und kehrt gewöhnlich jubelnd nach Hause zurück.
Den Montag gegen Abend geht die Braut, sauber angezogen, in alle Häuser der Gebetenen, in denen Mädchen sind, um sie zum "Straußwickeln" einzuladen, und wenn sich auch nur ein sechs Wochen altes weibliches Wesen in einem Hause befände, darf sie, ohne ihm einen großen Schimpf anzutun, doch nicht unterlassen, es einzuladen, obgleich es nicht kommen kann. Dieses Straußwickeln, welches einige Stunden später vorgenommen wird, besteht darin, dass um jeden Rosmarinzweig, den man bei der Hochzeit verteilt, ein Fädchen roter Blockseide gewunden, besonders aber der Hut des Bräutigams mit einem Kränzchen und ungefähr sechs Pillen Bändchen verziert wird.
An manchen Orten Hessens versammeln sich die Hochzeitsgäste schon am Vorabend der Hochzeit im Hause des Bräutigams: die unverheirateten, um zu singen und zu tanzen, die älteren Frauen, um die zu dem nie fehlenden Erbsenbrei bestimmten Erbsen zu lesen, und die Männer, um allerlei Gerät zu zerschlagen und zum Fenster hinauszuwerfen, wobei mitunter selbst die zur Hochzeit nötigen Speisen und Getränke nicht verschont bleiben.
Ist die Braut aus einem andern Dorfe, als der Bräutigam, so wird Mittwochs oder Donnerstags der Brautwagen gebracht. Auf der höchsten Stelle desselben sitzt, umgeben von ihren weiblichen Verwandten und Freundinnen, die geschmückte Braut vor einem mit dem besten Flachs versehenen Spinnrad. Dem Wagen voraus jagt eine geputzte Reiterschar, während die bekränzte Brautkuh mit dem Kalb und eine Anzahl Schafe und Schweine langsam hinterher laufen. An mehreren Stellen wird der Brautwagen durch eine quer über den Weg gezogene Kette oder Leine aufgehalten, welche nur gegen ein reichliches Geldgeschenk weggenommen wird, und wenn der Wagen vor dem Hause des Bräutigams anlangt, reicht der Bräutigam seiner Braut ein gefülltes Glas, welches sie zwei Mal mit den Lippen berühren und dann rücklings über den Kopf zu Boden werfen muss. Dasselbe geschieht mit einem Milchbrot. Geht das Glas entzwei, ist es ein gutes - bleibt es ganz, ein schlimmes Vorzeichen.
Einige Tage vor der Trauung werden ernstliche Vorbereitungen zum Hochzeitsschmaus getroffen. Endlich bricht der langersehnte Hochzeitsmorgen an. Man wählt, wie fast überall, einen Dienstag zur Trauung, indem man jeden andern Tag der Woche für weniger glückbringend hält. Nur in einigen Gegenden Hessens fängt man die mehrtägigen Hochzeitsfeste am Donnerstag oder Freitag an.
Schon in aller Frühe sieht man junge Mädchen mit bekränzten Haaren, Verwandte und Freundinnen der Braut, hier und da vorübereilen. Auf ein Mal läutet es : es ist das sogenannte "Brautläuten", welches um zehn Uhr Vormittags beginnt und den Geladenen das Zeichen gibt, sich in das Hochzeitshaus zu begeben, wo ihnen die "Brautsuppe", aus warmem Bier bereitet, vorgesetzt wird. Die Braut allein nimmt eine Weinstippe zu sich, "damit sie rote Backen bekomme."
Braut und Bräutigam erscheinen in vollem Staate. Die Erstere trägt ein Kleid aus schwarzem Tuch, die Haare sind kunstvoll auf dem Scheitel zusammengeflochten und mit einem Kränzchen verziert, das aus sogenannten "gebackenen" Blumen, besonders Kosen, kleinblättrigen grünen Zweigen und Goldflittern verfertigt ist; der Bräutigam hat gewöhnlich einen Anzug aus blauem Tuch. Sein Überrock schleppt fast auf der Erde, sein Hut ist mit Bändern und Sträußen geschmückt. Gegen halb elf Uhr holt der Bräutigam den Geistlichen ab, welcher, nachdem er ebenfalls etwas genossen, ein Taschentuch, eine Citrone und einen Rosmarinzweig erhält. Rosmarinzweige werden auch an alle übrigen Anwesenden verteilt, ehe man sich in Bewegung setzt, um, sobald die Glocken ertönen, in die Kirche zu ziehen.
In manchen Dörfern, namentlich des Kreises Kirchhain, schreitet mit dem ersten Klang der Glocken die mit dem Kranz geschmückte Braut aus dem elterlichen Haus, um unter dem Spiel der voranziehenden Musikanten und geführt von zwei jungen Burschen den Weg zur Kirche anzutreten. Die Eltern, Verwandten, Freunde und Nachbarn gehen in feierlichem Zuge hinter ihr. Der Bräutigam, zwischen zwei Mädchen, mit einem großen Blumenstrauß im Knopfloch, verlässt zu derselben Zeit das Haus seiner Eltern, und folgt dem Zuge der Braut nach.
Auf die Türschwelle legt man eine Axt und einen Besen, im Fuldaischen ein Messer, dessen Klinge mit drei Kreuzen versehen ist, damit Braut und Bräutigam darüber hinwegschreiten und so sicher sind, nicht behext zu werden.
Bedeutend umständlicher geht es in Dietzenbach zu.
Schon um neun Uhr, bei dem ersten Läuten, muss der Bräutigam seiner Braut die Weinsuppe durch die Köchin schicken, welche dafür zwölf Kreuzer Trinkgeld erhält. Nach dem zweiten Läuten, um zehn Uhr, bringt er, begleitet vom "Zuchtknecht" oder Brautführer, im Morgenanzug dem Pfarrer und Schulmeister, weil dieser zugleich Organist und Kirchendiener ist, die "Brautsuppe", welche in einem großen Stück Rindfleisch, einem Kuchen, einem Laib Brot und einer Kanne Wein besteht, und eine halbe Stunde später, beim dritten Läuten, muss er persönlich den Pfarrer holen und in's Hochzeithaus geleiten. Mit Ausnahme der Mädchen, welche sich sämtlich bei der Braut versammeln, um dieser bei dem Putz zu helfen, haben sich schon alle Gäste zum "Morgenessen" eingefunden, und sobald der Pfarrer erscheint, setzt man sich ohne weitere Umstände an den Tisch, auf welchem Kuchen, Butter und Wein oder Apfelwein zum beliebigen Gebrauch bereit stehen.
Nach einiger Zeit macht der Geistliche die Bemerkung, dass man, wenn alle Gäste fertig und "zurecht" wären, die Braut abholen möchte. Dies liegt den Paten ob, welche in großen schwarzen Mänteln, einen Rosmarinzweig in der Hand, sich nach dem Haus der Braut begeben. Vor ihnen her zieht die Musik, hinter ihnen gehen die jungen Bursche, gewöhnlich mit geladenen Pistolen, um unterwegs schießen zu können. Vor dem Hause bleibt der Zug stehen, während drinnen die von den Mädchen angekleidete Braut in vollem Schmucke in der Kammer sitzt, weil sie nicht in die Stube darf.
Man verlangt die Braut, und erhält statt derselben ein anderes Mädchen, wohl auch ein altes Weib. Die Paten machen Einwendungen dagegen, so gut und so witzig sie können, bis endlich der Vater die Braut, welche gewöhnlich in Tränen schwimmt, herbeiführt und sie den Pathen übergibt. Mit ihr geht der Zug in's Haus des Bräutigams zurück, wo sich unterdessen die Gäste in der Scheuer versammelt haben. Sobald die Braut anlangt, nimmt sie der Geistliche bei der Hand und stellt sie neben den Bräutigam, worauf eine der beiden "Zuchtmägde" (Brautführerin) erscheint, und auf einer großen Schüssel Rosmarinzweige und den schöngeschmückten Hut des Hochzeiters bringt. Sie nimmt diesem ohne Weiteres den alten Hut vom Kopfe, setzt ihm den neuen auf und teilt an die Gäste Rosmarinzweige oder "Rusemrei'n" aus. Ist sie damit fertig, kommt die andere Zuchtmagd mit einer Schüssel voll Zitronen und Taschentüchern, welche jedoch nur für den Herrn Pfarrer, die Paten, die Väter und die "Zuchtknechte" bestimmt sind. Denn wie für jede Hochzeit aus den Schwestern der Braut oder den erwachsenen Töchtern der Paten zwei Zuchtmägde erwählt werden, so sucht man auch aus den Brüdern des Bräutigams oder den Söhnen der Paten zwei Zuchtknechte aus. Fehlte es dem Brautpaar an Geschwistern oder den Paten an Kindern, so nimmt man Freunde und Freundinnen des Brautpaares, welche sich durch ihre moralische Aufführung dazu eignen, indem Zuchtknechte und Zuchtmägde vor Allem hinsichtlich ihrer Keuschheit in gutem Rufe stehen müssen.
Im Vogelsbergischen, wo die Braut zu Pferde abgeholt wird, kommt am Hochzeitsmorgen einer von den jungen Burschen des Dorfes nach dem andern auf einem mit einer schönen Decke belegten und mit Bändern geschmückten Pferde angeritten, und bleibt vor dem Hause des Bräutigams halten. Ist das ganze hochzeitliche Geschwader, oft dreißig bis vierzig Pferde stark, beisammen, erscheint auch der Bräutigam
zu Ross, und nun geht es nach dem Dorf der Braut zu, wo man sich vor ihrem Hause in einem Halbkreis aufstellt. Bestürzt über die Menge geschmückter Reiter, schickt die Braut, die Unwissende spielend, hinaus, um fragen zu lassen, was ihr Begehren sei. Einer der Burschen reitet aus dem Halbkreis vor und antwortet im Namen des Bräutigams, worauf sich der Bote mit dem Versprechen entfernt, er werde der Braut das Anliegen vortragen.
Mit Ungeduld erwartet jetzt der Bräutigam und sein Gefolge das Erscheinen der Braut, und Aller Blicke sind auf die Tür gerichtet. Da tritt, von den beiden Brautwerbern geführt, eine gräuliche Alte, nach Art einer Vogelscheuche ausgeputzt, heraus und wird dem Bräutigam mit der Frage vorgestellt, ob das seine Verlobte sei ? Er vermisst sich hoch und teuer, dass er das Gespenst nicht kenne, und sein Gefolge flucht, tobt und droht, wenn man die alte Hexe nicht auf der Stelle fortschaffe. Eine Weile nachher humpelt eine noch schrecklichere Gestalt auf den Bräutigam zu, an welchen die vorige Frage nochmals gerichtet wird, weshalb das Gefolge in solche Wut ausbricht, dass man kaum Zeit hat, die Alte in's Haus zu zerren, damit sie nicht umgeritten werde. Endlich erscheint die wirkliche Braut. Sie wird mit Jubel als solche anerkannt und ladet zum Absitzen und zum Frühstück ein, nachdem sie jedem der Reiter einen Strauss von künstlichen Blumen an die Brust gesteckt hat. Im Hause finden die Reiter eine ihnen gleiche Zahl junger Mädchen, welche die Braut sich eingeladen hat, und von denen jedes einen aus Gold- und Silberflittern und künstlichen Blumen verfertigten Kranz auf dem Kopfe trägt. Nach dem Frühstück wird der Rückzug angetreten: voran ziehen Spielleute, hinter ihnen die Brautbewerber in schwarzen Mänteln mit dem Bräutigam in ihrer Mitte; dann folgt einer der Brautführer, hinter welchem die Braut sitzt, und nun der Reihe nach die übrigen Reiter, jeder ein geschmücktes und bekränztes Mädchen auf seinem Pferde haltend.
Kaum ist der Zug auf einer Ebene angekommen, so verstummt die Musik, die Mädchen huschen schnell vom Pferde, und es beginnt ein vollständiges Wettrennen. Auf den dritten Trompetenstoß fliegen die Reiter dem Ziele zu, an dem schon ein seidenes Halstuch, ein Paar Handschuh und ein Band als Preise der Sieger befestigt sind. Wer sie gewinnt, schmückt sein Pferd damit, und dann setzt sich der Zug in der beschriebenen Weise von Neuem in Bewegung.
Hat man den Wohnort des Bräutigams erreicht, so kleidet man sich um, und bereitet sich zum Kirchgang vor.
Er soll eigentlich um zwölf Uhr stattfinden, verzögert sich aber oft bis ein Uhr. Den Zug eröffnet der Bräutigam, zwischen dem Pfarrer und den Paten gehend, ihm folgt die Braut, begleitet von den Zuchtknechten, welche auf ähnliche Weise wie der Bräutigam herausgeputzt sind, dann reihen sich die Mädchen an, und den Schluss bilden die übrigen Hochzeitsgäste.
In Dietzenbach gehen die Paten hinter dem Bräutigam, welcher den Pfarrer und den Vater zur Seite hat; ihnen folgen die verheirateten Männer und dann die Burschen, je zwei und zwei. Hierauf kommen die beiden Zuchtmägde, hinter ihnen die beiden Zuchtknechte mit der Braut in ihrer Mitte, welche stets, auch im höchsten Sommer einen Muff und Pelzhandschuh trägt, und dann je zwei und zwei die andern Mädchen und die Frauen. Die Musik bleibt an der Haustür stehen und spielt, bis sich Alles entfernt hat. Auf dem Wege nach der Kirche wird die Braut zu wiederholten Malen "gehemmt", indem man ein Wagenseil quer über die Straße spannt, einen Wagen vorfährt, ein Bändchen vorhält oder vor dem Zuge schießt, und Jedem, der da hemmt, müssen die Brautführer ein Lösegeld oder "Hemmgeld" geben, was ihnen zuweilen mehrere Gulden kostet.
In der Kirche angelangt, schreiten die Brautleute dicht an einander gehend dem Altar zu, weil, wenn zwischen Beiden ein Zwischenraum entsteht, der Teufel hindurch geht, um die Liebenden zu trennen, und vor dem Altar verbeugen sich die Brautleute zuerst gegen einander, und dann gegen den Geistlichen.
In Dietzenbach steht in der Kirche der Bräutigam im Stuhle der Gerichtsmänner oder "Schöffen", die Braut im "Ammenstuhle", nachdem die Zuchtknechte sie den Mädchen übergeben haben. Ertönt dann die Orgel, so stimmt die Versammlung das Lied des alten Dichters Flemming an:
In allen meinen Taten
Lass ich den Höchsten walten u.s.w.
und nach Beendigung desselben tritt das Brautpaar vor den Altar. Der Bräutigam schlägt sogleich seinen Mantel um die Braut, damit Niemand zwischen den Armen durchsehen könne, da dies für unglückbringend gilt, und lässt sich in dieser Stellung trauen. Gegen das Ende der Traurede ist jedes der Brautleute bemüht, mit dem Ausziehen der Handschuhe später fertig zu werden, als das Andere, indem man glaubt, dass wer zuerst damit fertig wird, auch zuerst stirbt, und nach der Trauung geht der Mann voraus und die Frau folgt nach. In Dietzenbach wird noch das Lied gesungen:
Wo Gott zum Haus nicht gibt sein' Gunst,
So arbeit Jedermann umsunst u.s.w.,
ehe der Zug in der früheren Ordnung nach dem Hochzeitshaus zurückkehrt.
Am Ausgang der Kirche wird derselbe von der Musik empfangen, welche spielend voran zieht, und am Hochzeitshaus gehen sämtliche Gäste aus einander, um sich umzuziehen und nach einer halben Stunde wieder zum Hochzeitsmahl zu erscheinen.
An mehreren Orten ist es Sitte, dass die junge Frau, sobald sie aus der Kirche kömmt, mit jedem ihrer beiden Führer entweder vor dem Hause ihrer Eltern, oder vor dem des Bräutigams, oder auch in einem besonderen Hochzeitshaus den Brautreigen tanzt, bei welchem sie nur zuweilen ihren Tänzer mit den äußersten Fingerspitzen berührt. Von Jahr zu Jahr wird jedoch dieser sinnbildliche Tanz mehr und mehr durch den Walzer verdrängt.
In Dietzenbach erwartet die Musik den rückkehrenden Zug am Hochzeitshaus, wo der Pfarrer in der Scheuer noch eine kleine Rede hält, und dem jungen Paar zu seiner Verbindung Heil und Segen wünscht. Hat er geendigt, kommen die Verwandten und Gäste und reichen Eins nach dem Andern dem Brautpaar die Rechte, indem sie ihm ebenfalls Glück wünschen, und sobald der Geistliche sich weg begeben, erscheinen die Musiker und spielen einen Walzer, welchen der Hochzeiter in Hut und Mantel zuerst mit der Braut in Muff und Pelzhandschuhen, und hierauf mit jedem der anwesenden Mädchen tanzt. Ist das geschehen, ladet der Bräutigam nochmals alle bereits gebetenen Gäste zum Hochzeitsmahl ein, und dann geht Alles nach Haus, um sich "auszuziehen" d. h. umzukleiden.
Der Bräutigam setzt eine grüne Samtkappe auf, die, ein Geschenk der Braut, mit Pelz verbrämt und oben mit goldener Quaste verziert ist, zieht ein großes blaues Wams, neue lederne Hosen, schwarze Strümpfe, welche von schwarzen, mit weißem Leder gefütterten Riemen festgehalten werden, und neue Schuhe an, und bindet sich eine feine weiße leinene Schürze vor, weil er während des Mahles die Gäste bedienen muss. Dieses besteht aus einer mit Safran schön gelb gefärbten Reissuppe, aus Rindfleisch mit Meerrettich, aus "Würschinggemüse", in welchem ein Stück Schweinefleisch steckt, mit Wurst und aus gebeiztem Fleisch mit Brühe, worauf noch Kaffee mit Kuchen herumgereicht und zuletzt Butter und Käse gegessen wird. Dass Apfelwein, Branntwein und Bier nicht fehlen dürfen, versteht sich von selbst, doch wird der Branntwein nur von alten Leuten genossen.
In vielen Dörfern gehören Erbsen, Sauerkraut, Schweinefleisch, Hutzeln und Schweinefüße zu den üblichen Gerichten jedes Mahles bei der Hochzeitsfeier, und am Schluss der Mahlzeit wird ein großer Kringel aufgetragen, der unter alle Anwesenden gleichmäßig verteilt wird.
Die Gäste, welche Messer und Löffel mitzubringen haben, sitzen zu je zwölf an einer Tafel, und sehen sorgfältig darauf, dass nicht dreizehn Personen an einem Tische sind.
Die Braut sitzt unter den jüngeren Hochzeitsgästen, wo sie den Ehrenplatz einnimmt, und hat sich während der ganzen Festlichkeit um gar nichts zu bekümmern.
Da alle Speisereste stehen bleiben müssen und keine Schüssel vom Tische getragen werden darf, beginnt, wenn die Mahlzeit beendigt ist, sogleich der Tanz. Den Anfang macht der Bräutigam und alle Andern folgen seinem Beispiele.
In einigen Ortschaften bricht, sobald das Mahl vorüber ist, die Gesellschaft auf, um jauchzend und lärmend durch's Dorf zu ziehen, und bleibt entweder im Wirtshaus zum Ball, oder kehrt in's Hochzeitshaus zurück, um dort in der Wohnstube oder in der Scheuntenne bis Mitternacht zu tanzen, wo dann das sogenannte "Abendessen" aufgetragen wird. Es besteht aus Sauerkraut, Reisbrei, gekochten dürren Zwetschen (Back-Pflaumen), Salat und Bratwürsten, und so wenig diese Gerichte zusammen passen, gibt es doch nicht viele Gäste, die nicht von allen herzhaft äßen.
Nach dem Essen bleibt das junge Volk, seine Zeit mit Trinken, Singen und derben Witzen ausfüllend, bis zum Tagesanbruch. Die Älteren begeben sich in der Regel nach Hause, um noch etwas zu schlafen. In Dietzenbach jedoch, wo bis zum Morgen weiter getanzt wird, darf sich Niemand entfernen, ohne fürchten zu müssen, wenn die Abwesenheit bemerkt würde, aus dem Bette geholt, mit einer Kette oder einem Strohseil auf eine Schleife gebunden und unter allgemeinem Jubel in's Hochzeitshaus zurückgebracht zu werden.
Der zweite Tag wird durch einen Umzug mit Musik eröffnet, bei welchem ein Spaßmacher, "Schampotasch" (Jean Potage) genannt, voran geht oder reitet. Bei jedem Haus, in welchem sich ein Hochzeitsgast befindet, wird angehalten. Liegt derselbe noch im Bett, so wird er ohne Barmherzigkeit geweckt, und, indem man ihm kaum Zeit sich anzukleiden lässt, mit Strohseilen gebunden und verkehrt auf ein Pferd gesetzt, "statt des Zaumes den Schwanz in der Hand."
In Dietzenbach, wo der ganze Umzug "Schambotaasch" heißt, vermummen sich die jungen Bursche, indem sich einige die Gesichter schwärzen, Andere sich einen Buckel machen, noch Andere die Hemden über die Kleider anziehen oder sich sonst in lächerliche Figuren verwandeln. So tanzen sie vor jedem Haus, in welchem eins der eingeladenen Mädchen wohnt, und nehmen dieses Mädchen mit. Sind auf solche Weise Alle beisammen, zieht man vor das Pfarrhaus, tanzt auch vor diesem, und kehrt dann in das Hochzeitshaus zurück, um das Morgenessen einzunehmen, das in Biersuppe und Sülzenbrühe nebst den Überresten vom vorigen Tag besteht. Nach demselben wird getanzt bis gegen Abend, wo die ganze Hochzeitsgesellschaft, die Musikanten an der Spitze, ausrückt, um das sogenannte "Gothen-" oder "Göthenkissen" zu holen. Nach einiger Zeit erscheint der Zug wieder, voran ein Mädchen, das in einem großen Korb ein mit Bändern über und über bestecktes dick gestopftes Kopfkissen trägt, und nun hebt das "Schenken" an. Alle Gäste sind versammelt, und nachdem zuvor ein zinnerner Teller auf den Tisch gestellt worden ist, tritt einer der Paten auf und spricht: "Die jungen Leute wollen nun ihren eigenen Haushalt anfangen; dazu brauchen sie Allerlei: Schiff und Geschirr, Hausrat und vieles Andere. Die nun geladen worden sind, und dem Brautpaar die Ehre erwiesen haben, zu kommen, mögen eine Beisteuer geben."
An einigen Orten muss das Brautpaar bei dem Schenken in ebensolchem Putz erscheinen, wie beim Kirchgang, und die Braut, welche sich mit den Zuchtmägden hinter den Tisch setzt, ehe der Pate oder "Petter" des Bräutigams seine Rede hält, während des Aktes tüchtig weinen. Zuerst bringt ihre Pate oder "Göth" das Göthenkissen in einem weißen Korb (Mahne), der ebenfalls als Geschenk angesehen wird, und der Mann der Pate legt einen Krontaler darauf. Dann kommt die Göth des Bräutigams d. h. die Frau des Paten mit einem Leintuch und einem "Hanspel" (Handtuch) und ihr Mann legt ebenfalls einen Krontaler darauf, und nach diesen "Petter-" und "Göthen-Geschenken" bringt ein Gast nach dem andern Geld oder Hausrat, wie Messer, Gabeln, Teller, Schüsseln u.s.w. als Beitrag zu den Unkosten der Hochzeit, die nicht unbedeutend sind. Denn gewöhnlich wird ein Kalb nebst einigen Schweinen, bei Reicheren wohl auch ein Rind geschlachtet, ein bis zwei Malter Weiß- und zwei bis drei Malter Schwarzmehl
zum Backen verbraucht, und von Allem, was aufgetragen wird, bleibt wenig oder nichts übrig, da die Gäste, was sie nicht essen, für ihre Kinder mit nach Hause nehmen, oder an der Tür verschenken. Nur die Musik wird von den jungen Burschen bezahlt.
Nach dem Schenken kleidet sich die Braut "aus" d. h. um, und dabei wird mit Musikbegleitung von der Gesellschaft das Brautlied gesungen:
Braut, tu die Brauthaub' aus,
Und sei die Frau in deinem Haus!
Feigenbaum, grüner Klee (Feigenblatt und grüner Klee),
Heut' eine Jungfer und nimmermeh'!
welches mit Veränderung des einen Wortes, welches das Kleidungsstück bezeichnet, so oft wiederholt wird, wie die Braut Sachen anhat, die sie ablegt. Bisweilen wird auch dem Bräutigam ein Liedchen vorgesungen, welches ihm das eheliche Leben nicht gerade von der schönsten Seite schildert und wobei einige das Schreien kleiner Kinder nachahmen müssen.
Inzwischen ist der Tisch wieder gedeckt worden, und es wird von Neuem gegessen. Während des Essens erscheinen aber die Frauen, um der Braut das "Kränzchen" zu nehmen. Die Zuchtknechte wollen es nicht leiden, und es beginnt ein ernsthafter Kampf, bei welchem nicht selten Tische und Bänke umstürzen, und mitunter selbst der Kopf der Braut in Gefahr gerät. Endlich gelingt es einer der Frauen, sich durch Gewalt oder List des Kränzchens zu bemächtigen, sie übergibt es dem Bräutigam, und die Braut, welche die Mädchen und jungen Bursche nun nicht länger in ihrer Mitte dulden dürfen, wird ausgestoßen und muss sich mit einer Haube auf dem Kopfe zu den Frauen setzen.
In Dudenhofen ist es hierbei üblich, dass jede der anwesenden Frauen der Braut eine Haube aufsetzt, so dass sie zuweilen deren zwanzig und mehr auf dem Kopfe hat, und anderwärts wird der jungen Frau von den verheirateten Männern eine Haube, dem Manne aber von den verheirateten Frauen eine Strumpfmütze aufgesetzt.
An manchen Orten fallen die Frauen schon nach dem Schenken über die Braut her, um ihr das Kränzchen vom Kopf zu reißen, und stimmen, wenn dies gelungen, das Brautlied an, nach dessen Beendigung die Gäste sich allmählich verlieren.
Hier und da wird der Brautkranz nicht dem Bräutigam übergeben, sondern unter die Ledigen geschleudert, welche ihn entweder ganz lassen, oder ihn in so viele Teile zerlegen, wie Personen anwesend sind. Wem es glückt, ihn ganz zu erhaschen, wird nächstens Braut oder Bräutigam, und wer einen Zweig davon bekommt, steckt ihn, wenn der Kranz ausnahmsweise von natürlichen Blumen war, in die Erde, um zu sehen, ob er angeht. Ist dies der Fall, bedeutet es baldige Verheiratung.
Bis noch vor etwa dreißig Jahren dauerte das Hochzeitsgastmahl stets mehrere Tage lang, während welcher fast ohne Unterbrechung geschmaust, getanzt und gejubelt wurde. Jetzt begnügt man sich meist mit zwei Tagen, pflegt aber in Dietzenbach und andern Dörfern am darauffolgenden Sonntag sich nochmals zum sogenannten"Tischrücken" zu versammeln, um bei einem ländlichen Mahle unter Scherz und Gesang die Hochzeitsfeier zu beendigen. Im Kreise Kirchhain wird am Sonntag Nachmittag das Hochzeitsfest mit einem Umzug durch das Dorf beschlossen, bei welchem eine Jungfrau einen mit Blumen bekränzten gekochten Schweinskopf, in dessen Maul ein Apfel steckt, feierlich herumträgt. Ihr voran zieht die Musik, hinter ihr folgen zunächst die jungen Eheleute und dann paarweise sämtliche Hochzeitsgäste, und wenn man wieder am Hochzeitshaus, dem Ausgangspunkt des Zuges, angelangt ist, wird der Schweinskopf gemeinschaftlich verzehrt. Sollte bei einer Hochzeit diese und jede andere Feierlichkeit gänzlich unterbleiben, so ist es ein Zeichen, dass die Braut das Recht eingebüßt hat, ihr Haupt mit dem Symbol des unverletzten Jungfrauenstandes, dem Kranz, zu schmücken und deshalb einer sich wieder verheiratenden Witwe gleichgestellt wird.