Die Litauer und Letten


Wenn in Preußisch-Litauen die Arbeiter auf den Feldern einen Reiter erblicken, der einen Flitterkranz am Hut und Blumensträuße an Brust und Armen trägt, und dessen stattliches Ross mit bunten Bändern und grüner Raute geschmückt ist, so entsteht lauter Jubel, denn es ist ein "Gastumbitter" oder "Platzmeister", dessen Erscheinen die Feier einer Hochzeit verkündet. Altem Herkommen gemäß hat er das Recht, bis in die Wohnzimmer der Wirte und selbst der größeren Gutsbesitzer zu reiten, setzt daher, ohne zu warten, dass ihm das Heck- und Hoftor aufgemacht werde, über den Zaun und die untere Hälfte der Haustür hinweg und reitet in die Stube. Alsbald schart sich die ganze Familie samt dem Gesinde um ihn und horcht gespannt der Rede, die er vom Pferd herab hält, und welche in der Gegend von Mehlaugken also lautet:

"Guten Tag, guten Tag, meine lieben Freunde! Nehmt nicht übel, dass ich so dreist in's Haus geritten, nicht nur in's Haus, sondern auch in die Stube. Ich junger Platzmeister und mein junges Pferd; das Pferd hat vier Füße und stolpert, und meine einzige Zunge verfehlt und erholt sich auch wieder. Ich grüße Euch vom Bräutigam und der Braut und lade zur Hochzeit auf Sonntag (Freitag). Den Martin zum Marschall, die Anna zur Brautjungfer, und die Übrigen alle zum Abend, wer einen Löffel und eine Gabel aufheben und einen Krug Allaus austrinken kann. Wir werden reisen aus des Hochzeitsvaters Hause ins Haus Gottes, aus dem Gotteshause in des Königs bunten Krug (das Wirtshaus); dort werden wir tanzen und froh leben. Jeder für seinen Groschen. Aber beim Zurückkehren in des Hochzeitsvaters Haus finden wir weiße Tische, bunte Krüge, umflochten, verziert und mit Allaus gefüllt. Dort finden wir Gekochtes und Gebratenes, Essen und Trinken; für unsere Pferde Brücken von Eschen und Krippen von Eichen, mit Hafer angefüllt. - Nicht weit bin ich gereiset, nicht viel hab' ich gelernet; wenn ich werde weiter reisen, werde ich auch mehr lernen. Für mich jungen Platzmeister ein Hemde; wenn nicht ein Hemde, dann ein Handtuch; wenn nicht ein Handtuch, dann ein Paar Beinkleider; wenn nicht ein Paar Beinkleider, dann ein Hosenband; wenn nicht ein Hosenband, dann ein junges Mädchen; wenn nicht ein junges Mädchen, dann ein Blümchen an den Hut. Mit Gott, mit Gott, meine lieben Freunde!"

Alle Anwesende verneigen sich auf's Tiefste, um für die Ehre zu danken, und versprechen, sich einzufinden, worauf der Platzmeister nicht nur mit Speis und Trank bewirtet, sondern auch mit einem Stück Leinwand oder mit langen Handtüchern beschenkt wird, die er sogleich um den Hals oder den Bauch seines Pferdes windet. Ohne abzusteigen, isst und trinkt er im Sattel, und sprengt dann jauchzend und singend davon, wie er gekommen, um am nächsten Gehöft die Zeremonie zu wiederholen.

In der Regel geschieht diese Einladung acht Tage vor der Hochzeit durch den nächsten Verwandten oder besten Freund des Bräutigams, dem auch die Anordnung des ganzen Festes obliegt. Die ehemalige Sitte, alle Hochzeiten im Spätherbst, um Allerheiligen, zu feiern, ward schon Ende des 17. Jahrhunderts durch einen Regierungserlass dahin beschränkt, dass an einem Sonntag nicht mehr als sechs Paare getraut werden sollten. Die Heiraten selbst werden nicht selten auf eine dem Lande eigentümliche Weise geschlossen.

Wenn nämlich ein Vater mehrere Töchter hat und sieht, dass sie nicht so rasch zu Ehefrauen begehrt werden, wie er es wünscht, so schickt er einen "Freys-Mann" aus, um sich Schwiegersöhne werben zu lassen. Erhält derselbe in einem Hause eine abschlägige Antwort, so versucht er sein Glück in einem andern, ohne dass deshalb irgend eine Feindschaft zwischen den betreffenden Familien entstünde, oder irgend ein Schatten auf das Mädchen fiele, dessen Hand vergeblich ausgeboten worden ist. Lässt sich aber ein junger Bursche bereit finden, auf den Vorschlag einzugehen, so muss er in's Gehöft des künftigen Schwiegervaters ziehen, und für Letzteren ohne Lohn wie ein Knecht arbeiten, indem er bloß die Kleidung und ein Stückchen Acker erhält, auf dem er Hafer und Lein für sich persönlich säen darf. Dasselbe Los wird den Schwiegertöchtern zu Teil, welche in's Haus der Schwiegereltern kommen. Auch sie müssen, so lange der Schwiegervater lebt, gleich den Mägden arbeiten und sich mit dem Feld begnügen, das sie mit Lein besäen, um für sich, den Mann und ihre Kinder spinnen zu können.

Da indessen die Litauer, wie alle Bauern, die Heirat meist als Geschäft betrachten, das von beiden Teilen mit großer Vorsicht und erst nach langer Überlegung abgeschlossen wird, so kommt es


alte Bräuche zur Hochzeit


häufig vor, dass die Verlobung noch zurückgeht, wenn der eine oder der andere Teil sich in seinen Erwartungen getäuscht findet.

Im Fall ein junger Litauer selbst seine Augen auf ein Mädchen wirft, so bittet er einen "Freyes-Mann", die Eltern zu grüßen und sie zu fragen, ob sie ihm die Tochter zur Ehe geben wollen. Wird der Beauftragte, der sich mit Sonnenaufgang und oft noch früher auf den Weg begibt, auch zum Sitzen eingeladen, so muss er doch ohne Antwort, mit einem Gruß allein zurückreiten und nach einigen Tagen seinen Besuch wiederholen. Erhält er dann den kurzen Bescheid, er möge sich nicht weiter bemühen und eine Andere suchen, so weiß er, woran er ist, und scheidet ohne Groll. Wird ihm aber Essen und Trinken vorgesetzt, so verabredet er den Tag zur dritten Wiederkunft. Dieses Mal erst erkundigen sich die Eltern bei ihm, wie die Braut von ihren Schwiegereltern behandelt und wie viel Land dem künftigen Ehepaar zur Aussaat von Lein und Hafer überlassen werden würde. Ist die Auskunft, die er gibt, befriedigend, so bringt ihm die Tochter, oder, ist diese zu scheu, deren Mutter ein Schnupftuch, wofür er ihr ein anderes gibt, das er zu diesem Zweck schon bei sich führt, und das Jawort ist gesprochen. Als "Zeichen" der Einwilligung erhält er zwei Handtücher, die er sich um den Leib bindet, und von denen er eins für sich behält und das zweite den Eltern des Freiers bringt, ein Sträußchen und ein Paar Hosenbänder, welche nebst dem Schnupftuch für den nunmehrigen Bräutigam bestimmt sind, und ein anderes Sträußchen, mit welchem sein Stab geschmückt wird. Auch sein Pferd wird im Sommer mit allerlei Grünem, im Winter mit Kletten und bunten Lappen behangen, und so geputzt reitet der Freyes-Mann, nachdem er gehörig bewirtet worden, dem Hause des Bräutigams zu, um dort die freudige Botschaft zu verkünden und die mitgebrachten Geschenke abzuliefern.

Am Sonntag darauf fährt der Bräutigam mit seinen und die Braut mit ihren Anverwandten zur Kirche. Sie treten nach der Kommunion vor den Altar, der Prediger hält eine kurze Rede an die beiden Liebenden und diese geloben, ohne Ringe zu wechseln, in seine Hand einander ewige Treue, worauf die Gesellschaft in den "Krug" oder das Wirtshaus zieht und dort von den Eltern der Braut mit Branntwein und Fladen traktiert wird. Da das Trinken bei dieser Zusammenkunft eine große Rolle spielt, so pflegt man zu sagen: "Das Paar hat sich zusammengetrunken."

Um die Zechgelage etwas zu beschränken, ward schon unter dem großen Kurfürsten verordnet, zu einem Verlöbnis nicht mehr als eine Tonne und zu einer Hochzeit blos vier Tonnen "Allaus" zu brauen und auszutrinken. Der "Allus" oder "Allaus", das beliebte, blassgelbe Nationalgetränk der Litauer, das halb aus Hopfen-, halb aus Gerstenmalz besteht, wird nämlich in allen Familien selbst bereitet, und in jeder Wirtschaft findet sich eine Kammer oder ein kleines Nebengebäude zum Brauen desselben vor. Da jedoch die Hochzeitsfeste meist drei bis fünf Tage währen, und die ganze Verwandtschaft der Braut und des Bräutigams dazu eingeladen wird, so pflegen statt der erlaubten vier oft zehn und mehr Tonnen geleert zu werden, und die Gäste verlassen das Hochzeitshaus, in welchem sie sich jeden Morgen von Neuem einstellen, nicht eher, als bis zum Zeichen, dass die Fässer leer geworden, eine Schüssel mit einem Krahn aufgetragen wird.

Den Beginn des Festes bildet die Ankunft des Bräutigams im Haus der Braut. Er reitet, wenn das dreimalige Aufgebot vorüber ist, gewöhnlich am Samstag des Abends mit seinen besten Freunden hin. Am folgenden Morgen versammeln sich auch die übrigen Gäste, und fangen früh an zu essen und zu trinken. Die nächsten Verwandten begleiten das Brautpaar mit Musik zur Kirche. Die Braut mit ihren Mädchen fährt, der Bräutigam mit seinen Freunden reitet. Vor der Trauung werden sie vom Schulmeister paarweise mit Namen aufgerufen und angewiesen, wie sie sich aufstellen sollen. Dann werden einige wieder gesungen, bei der Trauung die Ringe gewechselt, und nachdem wieder gesungen worden ist, geben Braut und Bräutigam dem Pfarrer die Hand, nehmen seine Glückwünsche in Empfang, die mit verschiedenen Ermahnungen schließen, und ziehen mit ihrer Begleitung in den Krug, wo sie sich bei den





mitgebrachten Vorräten an Speisen und Getränken einige Stunden lang lustig machen, ehe sie nach Hause zum eigentlichen Hochzeitsgelage zurückkehren, das Tag und Nacht währt.

Am Morgen nach der Trauung begeben sich die Neuvermählten mit ihren Verwandten und Gästen auf den Hof, wo ein großer Kreis geschlossen wird, in welchem der neue Eheherr den Ehrentanz mit seiner jungen Frau eröffnet, und diese dann der Reihe nach mit allen Männern tanzt. Zwei Frauen, von denen die Eine ein Tuch bereit hält, warten auf den Augenblick, wo sie mit dem Bruder oder nächsten Anverwandten ihres Mannes tanzt, und eilen, sobald dies geschieht, auf die Tänzerin los, um sie zu fangen. Sie ergreift die Flucht, die Mädchen, einander an den Händen haltend, umtanzen sie, können sie jedoch nicht schützen, und die Verfolgte muss sich endlich, nachdem sie sich vergeblich bemüht, durch den Kreis zu kommen, der dicht geschlossen bleibt, darein ergeben, von den Frauen, welche ihr sogleich das Tuch über den Kopf werfen, in die "Kletis" geführt zu werden, wo bereits die Schwiegermutter auf einem mit Kissen bedeckten Stuhle sitzt.

Die "Kletis" oder Klete, ein Nebengebäude, das in keiner litauischen Wirtschaft fehlen darf, ist nämlich eine Art Speicher zur Aufbewahrung für Betten, Kleider und Wäsche, und da sie demnach das Wertvollste in sich schließt, was die Familie besitzt, gewissermaßen das Heiligtum des Gehöfts. Hier nun empfängt die Schwiegermutter die "Nutalka" oder "angetraute Braut", und lässt sich nach vielen Vorstellungen bewegen, ihr den Platz abzutreten. Kaum hat ihn die Braut eingenommen, so treten zwei Brüder oder nahe Verwandte ihres Mannes vor sie hin, nehmen ihr den Rautenkranz und Kopfaufsatz ab, und lösen ihr die Haarflechten, während die umstehenden Frauen und Mädchen ein dabei übliches Lied anstimmen, welches im Ragnit'schen nach Gisevius also lautet:

Ach, wer löst die goldnen Flechten
Und zerzaust dein glänzend Haar,
Setzt dir auf das zarte Häublein,
Schön zu seh'n und doch so schwer!

Ach, mit Schmerzen trägt das Köpflein
Diesen ungewohnten Schmuck;
Heisse Tränen weint die Tochter,
Von der Mutter jetzt getrennt.

Weine nicht, geliebte Schwester,
Stille deinen bittern Schmerz,
Denn die Schwieger hat dich gerne,
Und der Liebste ist dein Schutz.

Die Mädchen tanzen singend um die Nutalka herum, schlagen die Männer, welche die Zöpfe aufflechten, mit grünen Zweigen auf die Finger und reißen, wenn die Frauen das Haar auf's Neue geordnet haben und ein Tuch darüber legen, dieses wieder herunter. Erst nachdem sie das drei Mal getan, erlauben sie, dass der jungen Frau die "Moteris", das volkstümliche Wulstentuch von weißer Leinwand mit gestickten Enden, aufgesetzt werde, worauf der junge Ehemann sich zu ihr niederbeugt, sie küsst und der Versammlung mit den Worten vorstellt: "Dies ist meine Frau!"

Dann hebt der Schwiegervater die junge Frau vom Stuhl, sie wird von ihrer neuen Familie, in der sie nun aufgenommen ist, sehr herzlich begrüßt, und verteilt die mitgebrachten Geschenke. Der Schwiegervater erhält ein Stück Leinwand, die Schwiegermutter einen vollständigen Anzug, jede der Schwägerinnen ein gesticktes Überhemd und jedes der Mädchen, die während des Ausflechtens gesungen haben, ein mit Spitzen besetztes Handtuch. Auch die Gäste werden mit Leinwand oder Wäsche beschenkt, da sie so mancherlei Lebensmittel als Beisteuer für das Hochzeitsfest mitgebracht haben, und zuletzt noch mit den "Tränen der Braut" bewirtet, einer mit Honig und Branntwein gefüllten Schüssel, aus welcher Jeder der Reihe nach ein Paar Löffel genießt, bis die Tränen versiegt sind, und der junge Mann, gefolgt von allen Anwesenden, seine Frau in's Haus zurückführt.

In manchen Ortschaften, namentlich von Russisch-Litauen, ist es Sitte, dass die Braut, ehe sie ihr Vaterhaus verlässt, alle ihre Anverwandten zum Mahle einladet und sie nach Beendigung desselben





Hochzeitsbräuche Litauen Hochzeitstracht


bittet, mit ihr ihre Jungfrauschaft zu beweinen. Alle setzen sich dabei zusammen, und die Braut stimmt mit großer Wehmut ein Klagelied an, das stets mit den Worten beginnt:

O Hue, o Hue, o Hue! Wer wird von nun an meinem Vater und meiner Mutter das Bett machen? Wer wird nun ihre Füße waschen? Mein liebes Hündchen, mein liebes Hühnchen, mein liebes Schweinchen, wer wird euch nun zu essen geben?

Nach einer Weile wird sie von den Frauen zum Herd geführt, wo sie wiederum anfängt:

O Hue, o Hue, o Hue! Mein liebes heiliges Feuer, wer wird dir nun Holz zutragen, dass der Vater und die Mutter sich bei dir wärmen können? Wer wird dich nun hüten und bewahren?

Dann trösten die Frauen sie, ermahnen sie, sich ihrer Trauer nicht allzusehr hinzugeben, und gefasst besteigt sie den Wagen, den ihr der Bräutigam schickt.
Früher geschah dieses Abholen der Braut ebenfalls mit großer Feierlichkeit. Der Wagen, mit einer Plane von Leinwand bedeckt, mit Rautenkränzen behangen und mit Mundvorrat wohl versehen, wurde von vier Verwandten des Bräutigams und vier Dienern desselben zu Pferde begleitet. Voran ritt der Freyes-Mann mit zwei berittenen Dienern, von denen Einer eine Glocke am Hals seines Pferdes befestigt hatte, um die Ankunft des Bräutigams schon von Weitem zu verkünden, und alle trugen Kränze auf den Hüten. Die Mädchen, welche mit der Braut verwandt oder bekannt waren, gingen dem Wagen entgegen und erwarteten ihn singend und trinkend vor dem Dorfe bei einem guten Feuer, das sie sich angezündet hatten. Sobald er erschien, stiegen zwei der nächsten Verwandtinnen der Braut hinein und fuhren mit bis zum Gehöft derselben. Dort aber fand der Freyes-Mann als Vorreiter das Tor zu und jenseits der Hecke eine zahlreiche Versammlung, die ihm den Eingang streitig machte. Nach einer halben Stunde kam endlich der Bruder oder nächste männliche Verwandte der Braut herbei und frug den Freyes-Mann nach seinem Begehr. Er bat um ein Nachtlager, sollte aber erst sagen, woher er käme. Er nannte verschiedene Städte und Orte, wie Königsberg, Danzig, Thorn und andere, die er vielleicht kaum dem Namen nach kannte, und beteuerte auf den Einwand, er habe zu viel Leute bei sich, um ihn einlassen zu können, dass es nur einige Personen seien. Da ward die Hecke aufgemacht, der Wagen bis zur Tür gefahren, wo er stehen blieb, und dem Freyes-Mann vom Bruder oder Vater der Braut ein großer Krug mit Bier gebracht, aus dem zuerst er und seine Gefährten tranken, und der dann dem Fuhrmann und den Dienern verblieb und stets von Neuem gefüllt wurde, da er nie leer werden durfte. Der Fuhrmann musste die ganze Nacht über bei dem Wagen bleiben, die Diener gingen in's Haus, um dort zu trinken, und der Freyes-Mann mit seinen vier Begleitern wurde in die Stube an den Tisch genötigt, wo sie bis zum Morgen mit den übrigen Gästen aßen und zechten.

Der Dienstag war zur Abfahrt der Braut bestimmt, welche die Kleider anlegte, in denen sie getraut worden war und nun mancherlei seltsame Zeremonien durchzumachen hatte, ehe sie in den Wagen steigen durfte.

Nicht weniger sonderbar war das Zeremoniell bei der Ankunft der Braut im Dorfe und Hause des Bräutigams. Reste davon haben sich in einigen Gegenden, besonders von Russisch-Litauen, bis zum heutigen Tag erhalten. Sobald sich nämlich die Braut der Grenze des Ortes nähert, in dem sie künftig wohnen soll, kommt ihr ein Mann entgegen gerannt, der in der einen Hand einen Feuerbrand, in der andern eine Kanne mit Bier trägt. Er läuft drei Mal um den Wagen herum, spricht zu der Braut: "Wie du in deines Vaters Hause das Feuer verwahrt hast, so wirst du es auch hier tun" und gibt ihr zu trinken, worauf der Wagen bis vor das Haus des Bräutigams fährt, wo die Hochzeitsgäste versammelt sind. So wie diese den Wagen erblicken, rufen sie Alle, wie aus einem Munde: "Der Wagentreiber kommt! Der Wagentreiber kommt!" und erwarten mit Spannung, wie derselbe vom Wagen herab auf den Stuhl springen werde, der zu diesem Behuf an der Haustür steht und mit einem Kissen und einem Handtuch bedeckt ist. Denn wenn es ihm nicht gelingt, den Stuhl mit einem Sprung zu erreichen, so wird er von





den Gästen geprügelt und zur Hintertür aus dem Haus geworfen; gelingt es ihm aber, so ist das Handtuch sein Eigentum, und er bleibt auf dem Stuhle sitzen, bis die Gäste die Braut aus dem Wagen gehoben und diese den Stuhl einnehmen soll, wo ihr ein Trunk Bier gereicht wird. Steht die Braut wieder auf, um in die Küche und um den Herd geleitet zu werden, so trägt ihr der Fuhrmann den Stuhl nach, damit sie sich nochmals darauf setzen könne, um sich die Füße waschen zu lassen. Das Wasser, mit dem das geschieht, wird genommen, um nicht nur die Hochzeitsgäste, sondern auch das Vieh, das ganze Haus und das Brautbett damit zu besprengen.

Dann werden der Braut die Augen verbunden, und sie wird, nachdem man ihr noch den Mund mit Honig beschmiert, an alle Tore des Hofes geführt, damit sie an jedes mit dem Fuße stoße. Ihr Führer ermahnt sie dazu, indem er ihr zuruft: "Stoß an, stoß an!" während zugleich ein anderer Begleiter, der einen Sack mit allerlei Feldfrüchten, wie Roggen, Weizen, Gerste, Erbsen und ähnlichen trägt, sie dabei jedes Mal mit dem Inhalt des Sackes beschüttet und spricht: "Wenn du fleißig und treu bleibest, wirst du von Allem genug haben."

Hat sie ihre Wanderung beendet, wird ihr die Binde abgenommen, und man setzt sich zum Essen nieder, worauf bis spät in die Nacht getanzt wird. Soll nun die Braut zu Bett gebracht werden, so schneidet ihr Einer von ihren männlichen Anverwandten die Haare ab, die Frauen setzen ihr einen breiten Kranz auf, der mit einem weißen Tuche benäht ist, und den sie so lange tragen muss, bis sie Mutter eines Sohnes wird, und hierauf schlägt Alles, was anwesend ist, auf die Braut los, so dass sie, wenn sie nicht sehr schnell ist, ganz durchgeprügelt zum Bräutigam kommt, der sie bereits erwartet.

Als Tröstung dafür werden ihr Nieren von Böcken und Ochsen ans Bett gebracht, welche die jungen Eheleute sogleich oder am nächsten Morgen verzehren müssen, soll ihre Ehe nicht unfruchtbar bleiben.

Einige Wochen später, wenn wieder ein Gebräu Allaus fertig und trinkbar ist, beginnen als Nachfeier der Hochzeit die Schmausereien, welche die Eltern und Freunde der Braut und des Bräutigams sich gegenseitig geben, um das neue Verwandtschaftsverhältnis inniger zu machen, und welche man mit dem Namen "die Wiederkehr" bezeichnet.

Weniger sybaritisch werden die Hochzeiten bei den mit dem litauischen Volksstamm nah verwandten Letten gefeiert, welche die an Ostpreußen grenzenden russischen Ostseeprovinzen Kurland und Liefland bewohnen. Bis in neuester Zeit Leibeigene der meist deutschen Grundbesitzer, mussten auch ihre Gebräuche den Stempel ihrer bürgerlichen Lage tragen. Wenn daher ein Paar junge Leute sich verheiraten wollten, so war es das Erste, die Erlaubnis dazu vom Herrn zu erbitten. Gewöhnlich waren es der nächste Verwandte und Hausvater des Liebhabers, oder dieser selbst mit einem "Wortführer" oder Freiwerber, welche in ihrem schönsten Schmucke auf den besten Pferden, die sie auftreiben konnten, nach dem "Hofe" ritten, um ihr Anliegen vorzutragen. In wohlhabenden Gegenden guckte wohl ein leinenes mit Wolle ausgenähtes Schnupftuch aus der Tasche der Reiter, überall aber flatterten bunte Bänder von ihren Hüten und Pferden, und nirgends erschienen sie mit leeren Händen, mochten sie nun blos Honig oder Butter als Gaben darbringen, oder ein Schaf oder Wild dem Herrn zu Füssen legen, ehe sie die hergebrachten Worte sprachen: "Eine Hirtin (eine Gans, ein Vogel, ein Schaf) ist uns hieher entlaufen. Wir kommen Eure Gnade um Auslieferung anzuflehen."

Fanden sie geneigtes Gehör, so suchte man das Mädchen, welches bei der Ankunft der Reiter sogleich die Flucht ergriffen und sich in irgend eine Scheune oder einen Stall verkrochen hatte, schleppte es scheinbar mit Gewalt zum Herrn, wo es verschämt sein Jawort gab, und nahm vergnügt ein Frühstück mit Branntwein ein.

Am nächstfolgenden Sonntag erschien das Brautpaar mit dem Erlaubnisschein des Gutsherrn vor dem Geistlichen, der es in den Religionskenntnissen prüfte und dann in Gegenwart einiger dazu gebetener Zeugen verlobte, worauf der eigentliche Verlobungsschmaus statt fand, bei welchem die Brautleute sich





die Hände über einem Brote geben und nachher jedes ein Stück davon essen mussten. Wer dabei zuerst mit dem seinigen fertig war, nahm dem Andern den Überrest aus der Hand, und man glaubte von ihm, dass er auch im Erwerb des Brotes der Tätigste sein werde. Von nun an hatte der Bräutigam das Recht, seine Braut zu besuchen, so oft und wann er wollte, und wenn die Ernte nicht gar zu schlecht ausfiel, wurde die Hochzeit noch im Herbst gefeiert.

Ungefähr acht Tage vor derselben ladet die Braut die weiblichen Hochzeitsgäste ein, die sie zu haben wünscht, während der Bräutigam die männlichen bittet. Sie versammeln sich früh Morgens am Hochzeitstag, der stets auf einen Sonntag festgesetzt wird, die Männer im Hause des Bräutigams, die Mädchen und Frauen im Hause der Braut. Das Frühstück besteht aus einer Suppe, etwas Fleisch und feinem, von geschrotenem Roggen- und Weizenmehl gemischtem Brot, wobei der Branntwein natürlich nicht fehlen darf. Um sieben, acht oder neun Uhr, je nachdem man weit von der Kirche wohnt, oder sich unterwegs aufzuhalten gedenkt, macht man sich auf den Weg. Die Braut hat sich mit kleinen Münzen und bunten Fäden wohl versehen, um in jeden Graben und Teich, den sie sieht, und an jede Hausecke eine Münze und ein Bündel Fäden werfen zu können, und fährt mit ihren Mädchen und einigen andern Hochzeitsgästen auf kleinen Leiterwagen. Eine Sackpfeife begleitet sie, und ein lediger Bursche, der mit einem Band an Hut, Arm oder Brust geschmückt ist, reitet als Hochzeitsmarschall vor. Da er die Verpflichtung hat, die Gesellschaft nicht dürsten zu lassen, so sprengt er bei jedem Krug, an dem man vorüberfährt, voraus, holt eine hölzerne Kanne voll Bier und bringt sie, nachdem er dreimal im Kreise herumgeritten, der Braut. Diese trinkt und reicht sie weiter.

Der Bräutigam, welcher mit seinen Begleitern reitet, trifft, wenn es irgend der Weg erlaubt, bei einem Krug mit der weiblichen Gesellschaft zusammen, um sie mit Branntwein zu traktieren. Geht es nicht, so erwartet er den Zug an der Kirche, wo das Brautpaar von den Eltern, die ihm für diesen Tag erwählt worden sind, auch wenn die wirklichen noch leben, an den Altar geführt wird.

Bei der Trauung sucht die Braut den Bräutigam auf den Fuß zu treten, um sich der Herrschaft in ihrem künftigen Hauswesen zu versichern, und da der Bräutigam dasselbe wünscht, so entsteht oft ein Kampf, der um so komischer ist, weil beide es verbergen wollen und Jedermann auf ihre Füße sieht.

Nach der Trauung wird im nächsten Kruge angehalten, um zur Beglückwünschung zu trinken, auch darf man auf dem Rückweg an keinem einzigen Krug vorüberziehen, ohne wenigstens Bier zu nehmen. In vielen wird sogar getanzt, so dass es gegen 4 Uhr, auch wohl noch später wird, ehe der Marschall unter beständigem Knallen mit der Peitsche am Hochzeitshaus erscheint, um die Ankunft der Braut zu melden und eine Kanne Bier zu holen, die er ihr entgegenbringt und nach dem üblichen dreimaligen Kreisreiten um sie herum darreicht.

Das Hochzeitshaus ist inzwischen mit grünen Zweigen geschmückt, die Türen, durch welche die Braut eingehen muss, sind mit grünen Ehrenpforten geziert worden, und alle im Haus versammelten Männer, welche einer Flinte habhaft werden können, eilen hinaus, um die Braut mit Freudenschüssen zu bewillkommnen. Ist sie vom Wagen gestiegen, so gehen ihre Führer voran, und schlagen über jeder Türe ein Kreuz mit einem Degen oder einer Peitsche, um die bösen Geister zu vertreiben, die sich zum Schmause etwa eingefunden haben könnten. Dann setzt sich die Braut mit ihrer Begleitung zu Tische, entfernt sich aber, sobald sie gegessen hat, um sich zu verstecken. Der Bräutigam, welcher nun erst ankommt, wird ebenso empfangen, wie die Braut; auch er setzt sich mit seinen Begleitern zum Essen nieder, und fängt, nachdem er sich gesättigt hat, die Braut zu suchen an. Musik und lautes Freudengeschrei verkünden, wenn sie gefunden wird, worauf der Tanz beginnt.

Um Mitternacht nimmt die für die Braut erwählte Mutter dieser den Mädchenkopfputz ab und setzt ihr eine Weibermütze auf, und der für den Bräutigam erwählte Vater bindet ihr eine Schürze vor, in





welcher sie zuerst sein Geschenk empfängt, und hierauf die Gaben aller übrigen Hochzeitsgäste einsammelt. Nach ihr geht die Köchin mit dem leeren Kessel herum und erinnert daran, sie nicht zu vergessen.

Ist die Braut oder der Bräutigam auf dem Gute in Diensten, und die Herrschaft richtet die Hochzeit auf dem Hofe aus, so übernehmen der Herr und die Frau das Sammeln für die Braut als besondere Gunstbezeigung. An manchen Orten ist es auch die Herrschaft oder eine von ihr abgeschickte Person, die am Morgen nach der Trauung statt der Brautmutter der jungen Frau die kleine Mütze oder runde Haube aus Seidenstoff aufsetzt, welche die Verheirateten tragen, und ihr dabei, wie es üblich ist, eine Ohrfeige gibt.

Wird die Hochzeit in einem Bauernhaus gefeiert, so wird nicht bloß zwei oder drei Tage lang, sondern mindestens bis zum Donnerstag gegessen, getrunken, gejubelt und beim Schnarren der Fiedeln und Brummen der Sackpfeifen getanzt, und jeder Ankömmling, ob bekannt oder nicht, mit Fleisch, Bier und Branntwein bewirtet, so lange der Vorrat währt.