Westfalen
Sieht der Sauerländer bei der Heirat nur auf Geld oder Geschicklichkeit des Mädchens, so freit der Münsterländer gewöhnlich dem Willen seiner Eltern gemäß und sieht die Ehe wie ein aus Gottes Hand gefallenes Los an, das er in friedlicher Pflichterfüllung trägt. Der Paderborner Wildling dagegen wirbt, wenn Erziehung und Zucht nichts an ihm getan, wie ein derbes Naturkind mit allem Ungestüm seines heftigen Blutes. Bleibt seine Neigung unerwidert, läuft er Gefahr zu verkommen, und erreicht er das Ziel seiner Wünsche, so folgt eine Ehe, die überall anderswo für unglücklich gelten würde, da kaum eine Barackenbewohnerin ihr Leben beschließt, ohne Bekanntschaft mit "ungebrannter Asche" oder dem sogenannten "braunen Heinrich" gemacht zu haben. Indessen ländlich, sittlich: die Frauen sind überzeugt, dass eine gute Ehe wie ein gutes Gewebe zuerst des "Einschlags" bedarf; Fluch- und Schimpfreden verlieren nach und nach einen großen Teil ihrer Bedeutung, und trotz der rohen Behandlung Seitens des Mannes scheut kein Mädchen vor der Heirat zurück.
Sind die Brautleute ganz ohne Vermögen, so laden sie in der Umgegend von Schwelm zu ihrem "Ehrentage" so viel Bekannte und Verwandte wie möglich. Tische und Bänke aus geliehenen Brettern werden unter freiem Himmel aufgeschlagen, und die Gäste mit Schinken, Bohnen und Reisbrei, namentlich aber mit Bier und Branntwein bewirtet. Dafür werden die jungen Eheleute reichlich beschenkt. Die nächsten Verwandten geben nicht unter einem Kronentaler; ein Ehepaar, das nicht mit dem Brautpaar verwandt ist, gibt mindestens einen Taler, und unverheiratete Personen geben niemals unter einem halben Taler. Außerdem schicken ihnen die Eingeladenen schon vor der Hochzeit viele Schinken zum Geschenk, die Milch zum Reisbrei und mancherlei kleines Hausgerät, wie Kochkessel, Kasserollen, Schüsseln, Teller u. dergl. An einem besonderen Tische, dem sogenannten "Hebetische", wird über alle diese Gaben unter Trompetenschall ein Verzeichnis verlesen, welches die Beschenkten sorgfältig aufbewahren, um, wenn sie irgend es vermögen, in der Zukunft Anderen auf dieselbe Weise "die Hochzeit halten helfen" zu können.
Der Ravensberger Bauer schließt seine Heiratsverabredungen gewöhnlich öffentlich in der Schenke ab, und der Vater sagt die Hand seiner Tochter in der Regel dem zu, der ihm gefällt, ohne die Neigung oder Abneigung des Mädchens zu dem ihm bestimmten Gatten in Betracht zu ziehen. Hat der Freier nur einen Stall voll Pferde und Kühe, so ist dies hinreichend, ihn sogleich als Schwiegersohn anzunehmen. Bei der Verlobung pflegt der Bräutigam seiner Braut eine Schnur Bernsteinperlen, die sie an einem Band am Halse tragen kann, sowie ein Gesangbuch mit dem neuen Testament, das mit starken silbernen Schnallen und mit silbernen Beschlägen an den Ecken verziert ist, zum Geschenk zu machen.
An dem Abend, wo die Verlobung stattgefunden hat oder die Verlobten zum ersten Mal aufgeboten worden sind, versammeln sich in einigen Orten, wie z. B. in Büren, die unverheirateten Burschen und Mädchen mit Peitschen, alten Gießkannen, Topfdeckeln u.s.w., um möglichst viel Lärm zu machen, und werden dafür vom Brautpaar mit Branntwein traktiert.
Zur Hochzeit, welche nie Mittwochs und Freitags, in Büren auch nicht Montags, sondern nur Dienstags, Donnerstags oder Sonnabends abgehalten wird, ladet man im Ravensbergischen alle Anverwandte, Nachbarn und Bekannte einige Tage vorher feierlich ein. In der Gegend von Minden macht als Hochzeitsbitter ein junger Bauernbursche, gefolgt von vier bis sechs Brautjungfern, welche Körbe tragen, die Runde durch Höfe und Dörfer. Im höchsten Staat, Brust und Hut mit einem mächtigen Strauss geschmückt,
einen blumen- und bänderbehangenen Stab in der Hand, bringt er Verwandten und Bekannten die Kunde vom nahen Fest und ladet in ziemlich holperigen Versen "Klein und Groß" zur Hochzeit ein.
Da letztere stets im Hause dessen stattfindet, der den Hof hat, so wird im Ravensbergischen die Braut oder der Bräutigam, begleitet von den Nachbarn zu Pferde, in aller Frühe nach dem Hochzeitshaus gebracht. Einer aus dem Zuge reitet voran und fragt, ob die Braut oder der Bräutigam willkommen sei. Die Antwort fällt natürlich bejahend aus, der Abgesandte meldet sie sogleich dem Zuge, und Braut oder Bräutigam zieht unter lautem Jubelgeschrei, unter Trompetenschall und Flintenschüssen in den Hof ein.
Ist es die Braut, wird sie von dem Schwiegervater oder der Schwiegermutter, oft von Beiden an der oberen Tür begrüßt, und ihr ein Stuhl an den Herd gerückt. Sie muss sich niederlassen und Zange und Feuerbrand ergreifen, ehe sie zur unteren Tür geführt wird, wo die Hochzeitsgäste sie in Empfang nehmen, um sie zur Kirche zu geleiten. An manchen Orten wird sie bei der Ankunft zuerst um den Mist geführt, und im Süderland muss sie der uralten Sitte gemäß dreimal um das Herdfeuer oder den Kesselhaken schreiten.
Den Gästen, welche sich gewöhnlich gegen neun Uhr Morgens in ihrem schönsten Staate einstellen und eine "Gabe", bestehend in Butter, Semmeln oder Stuten und Hühnern, mitbringen, wird Branntwein angeboten und zum "Anbiss" oder Frühstück im Ravensbergischen eine "Stutensuppe", eine "Hakeldür" (Ragout aus kleingehackten Lungen, Lebern, Herzen u. dergl. mit Korinthen) und gebratene Wurst vorgesetzt. Hat sich ein Teil der Gesellschaft gesättigt, steht er wieder auf, um anderen neu hinzugekommenen Gästen Platz zu machen.
Zur Trauung werden im Kirchspiel Buer im Osnabrückschen die Braut und ihre Brautjungfern mit schimmernden Kronen geschmückt und die Brautleute von der Musik und einem jauchzenden Haufen jungen Volkes vom Hause abgeholt und bis zur sogenannten Brauttür an der Kirche begleitet. Bei Minden folgen dem Brautpaar zunächst Kinder, welche mächtige Sträuße tragen, hinter diesen die Alten und dann paarweis die festlich geschmückten Mädchen und Burschen. Aus jedem Hause und jeder Hütte schließen sich noch Leute dem Zuge an, so dass derselbe oft endlos lang wird, ehe er die Kirche erreicht. An der Tür empfängt der Küster, ein Taschentuch lang aus der Tasche seines blauen Fracks heraushängen lassend, mit tiefen Verbeugungen den Brautzug und geleitet ihn zum Altar, wo die Trauung vor sich geht. In Buer, wo mit dem ersten Tritt des Brautpaars in die Kirche die Musik schweigt und die Orgel ertönt, werden vorher einige Verse des bekannten Liedes: "Wie schön leuchtet der Morgenstern" abgesungen, ehe ein Bräutigamsknecht die Braut am Zipfel eines weißen Tuches aus dem Brautstuhl an den Altar zur Trauung führt.
Ist diese geschehen, empfängt bei Minden vor der Kirchentür ein lauter Tusch der Musik das junge Paar und endloser Jubel erschallt auf dem stillen Kirchhof. Gewehre knallen, Böller krachen, und die Dorfburschen versuchen, die Frau zu entführen. Die mit Knitteln versehenen Brautführer verteidigen sie aber um so mutiger, als beim Gelingen des Streiches Jeder von ihnen eine Flasche Wein zum Besten geben muss. In der Soester Börde wird der junge Ehemann, sobald er aus der Kirche tritt, von den herumstehenden Bauern geprügelt, damit er fühlen lerne, wie weh Schläge tun, und seine Frau künftig nicht schlage.
Auf dem Rückweg nach dem Hochzeitshaus eilt der Bräutigam voraus, um seine Braut vor der großen Haustür erwarten zu können. Er hat ein Brot unter dem Arm und einen Krug Bier in der Hand.
In der Soester Börde, wo der nächste Anverwandte des Bräutigams früher die Braut bei dem Weg nach der Kirche und zurück hinter sich auf's Pferd nahm, stieg die Braut, wenn der übrige Zug auf den Hof ritt, eine Strecke vor dem Hause ab, damit ihr der Bräutigam mit dem Brot und Bier, in Begleitung eines Musikanten entgegen kommen könnte. Er gab ihr zum Zeichen, dass er sie lebenslang ernähren
wollte, den Krug und das Brot; sie musste trinken und etwas von dem Brote essen, in welchem ein Geldstück steckte, worauf der Rest des Brotes den Armen geschenkt wurde.
In Buer, wo diese Sitte noch üblich ist, nimmt die Braut bloß ein schon vorher losgeschnittenes Eckchen des Brotes, um es als Schatz in ihrer Brautlade aufzuheben. Wird es schimmlig, fürchtet man eine baldige Trennung der Ehe. Anderwärts überreicht der Vater oder, wenn er nicht mehr lebt, der nächste Anverwandte der Braut dieser ein Stück von der Oberrinde eines gut ausgebackenen Brotes nebst einem Glas Branntwein, und die Braut muss das Glas über den Kopf hinweg auf die Erde werfen, die Rinde aber, ohne sie mit der Hand zu berühren, mit den Lippen ergreifen, in ein Tuch wickeln und in ihrer Lade aufbewahren. Setzt sich innerhalb vier bis sechs Wochen Schimmel an, steht der jungen Frau eine unglückliche Ehe bevor.
Bei der Ankunft im Hochzeitshaus beginnt nach der Gratulation der Tanz, und mit dem Schlage Zwölf, im Ravensbergischen gegen zwei Uhr Nachmittags, setzt sich Alles zum Hochzeitsschmaus nieder, der meist in der Tenne stattfindet. Unter dem Klang der Geigen nimmt die Braut den obersten Platz ein, während der Bräutigam die ganze Mahlzeit über seine Braut und die übrigen Gäste zu bedienen hat, und erst nach aufgehobener Tafel mit den "Umläufern" speisen darf.
Dem Essen folgt der Tanz, diesem wieder ein Mahl und so fort, bis die zwei oder drei Tage., welche jede ordentliche Hochzeit dauert, vorüber sind. Bei den Bauern der Soester Börde musste früher der nächste Verwandte des Bräutigams den ersten Tanz mit der Braut tanzen, wofür er ein neues Schnupftuch erhielt, und im Ravensbergischen stellt sich vor dem Beginn des Tanzes gewöhnlich der Untervogt oder Schulze am Feuerherde auf, um dem jungen Ehepaar mit einer feierlichen Rede im Namen des Landesherrn den Hof zu übergeben, den ihm der Vater bei der Heirat abzutreten pflegt.
Gegen Abend wird der Braut von den anwesenden Frauen die Weibermütze aufgesetzt, was, wie überall, die Unverheirateten beiderlei Geschlechts auf alle Weise zu verhindern suchen. Eine Weinkaltschale, welche in Alten-Hundem "Timpen-" oder "Tüntenbrei", in Werdohl "Bruttrieseck" heißt, dient in der Regel den Frauen als Mittel, den Sieg zu gewinnen, und sobald diese Zeremonie vorüber ist, überträgt der Bräutigam einem Andern die Aufwartung, um mit seiner jungen Frau zu tanzen.
In der Soester Börde waren es sonst die Frauen, welche sogleich nach dem Behauben der Braut mit Letzterer zuerst um den Herd und dann durch's ganze Haus tanzten, damit sie sich an ihr neues Heim gewöhnen und ihrem Manne nicht entlaufen sollte. Zuletzt kam der Bräutigam, entführte seine Braut den Frauen und nahm sie mit sich in die Kammer. Am folgenden Tage versammelten sich die Gäste wieder im Hochzeitshaus, wurden abermals mit Branntwein und einem derben Frühstück bewirtet, und zogen dann, die jungen Burschen mit Flinten bewaffnet, mit der Braut um alle Ländereien ihres Mannes. Dabei ward ein an eine Stange gebundenes Betttuch vorangetragen, nach welchem die Burschen so lange schossen, bis es in Brand geriet, und nach der Rückkehr setzte man sich zu Tische, worauf die jungen Eheleute beschenkt wurden.
Wo die Hochzeit nur einen Tag dauert, stellt sich im Paderbornschen nach dem Lichtanzünden Alles zum "Papen von Istrup" auf, einem beliebten Volkstanz, bei welchem die Braut, wenn sie irgend eine echte "Flüggebraut" ist, mit Kranz und fliegendem Haar erscheint. Die Paare fassen sich dabei mit den Enden eines Tuches an, so dass sie eine Reihe bilden, und tanzen zuerst das Feuer aus, dann durch Stuben und Kammern, Ställe und Gärten und zuletzt im ganzen Dorf herum. Voraus Musikanten und Koch, hintennach ein Aufwärter mit einem zusammengedrehten Tuch, der "Klumpsack" heißt. Dieser prügelt die langsamen Tänzer, befiehlt, wohin sie tanzen sollen, und weist ihnen oft die beschwerlichsten Wege an, ohne dass sie sich seinen Anordnungen widersetzen dürfen. Ist Alles bis zum Hinfallen müde, ist die Hochzeit vorüber und Jedes geht nach Haus. Ein anderer Tanz, der sonst bei keiner westfälischen Hochzeit fehlen durfte, war der sogenannte "Siebensprung" oder "die sieben Sprünge".
Währt die Hochzeit länger, so geleiten bei Minden am Morgen des letzten Tages die jungen Bursche das Paar feierlich aus dem Hans der Braut zum Hof des Mannes. Auf dem Brautwagen, welcher die Aussteuer trägt, sitzt zwischen Spinnrad, Butterfass, Milcheimern und Betten das junge Ehepaar hoch über den bunt bemalten Kisten und Laden, und unter dem Jauchzen der Vorreiter geht es dem Ziele zu.