Tirol
Wenn man "die Tiroler" sagt, so bezeichnet man nicht ein Volk, sondern ein Konglomerat von Völkerschaften. Tirol sollte, was es geognostisch war, auch ethnographisch werden. Wie in seinen gewaltigen Gebirgsstöcken der Granit und der Marmor, der weiße Dolomit und der purpurne Porphyr sich zwischen und neben einander drängen und erheben, so haben in seinen Tälern Rätier und Römer, Bojoaren und Alemannen sich in einander oder einander gegenseitig weg geschoben, anderer Stämme gar nicht zu gedenken.
Durch diese Völkerwanderungen sind natürlich in weit aus einander liegenden Landesteilen ebenso gut Analogien entstanden, wie in benachbarten Gegenden scharfe Gegensätze. So wird durchgängig am Dienstag geheiratet, nur im Iseltal ist der Montag dazu auserwählt. Die alte Sitte des "Brautaufhebens" oder "Brautfangens", das heißt das Aufhalten des Brautpaares auf dem Wege aus der Kirche, ist den Deutsch-wie den Wälschtirolern gemeinsam, und das Stehlen der Braut findet sich im einst venezianischen Ampezzo nicht minder, wie zu Lienz im Pustertal.
Das "Brautfangen" geschieht wie in Italien und in der Schweiz vermittelst eines Strickes oder einer Stange, Hindernisse, welche vor einem Trinkgeld bereitwillig fallen. Mehr zu schaffen macht dem Bräutigam die "Klause", welche früher allgemein üblich war, dann allmählich abkam und zuletzt sich nur noch auf dem Iselsberg erhielt.
Der Zweck der Klause ist ein anderer, als der des Strickes und der Stange, nämlich nicht das Aufhalten des Brautpaares, sondern das Aufhalten des Brautkastens. Sie kann folglich nur errichtet werden, wenn ein Mädchen in eine andere Gemeinde hinüberheiratet, denn nur dann kommt der Bräutigam Abends
mit seinem Fuhrwerke, um den Kasten der Braut abzuholen. Sobald er vorübergefahren ist, wird an dem bestimmten Platz, der "innerhalb des Gemeindegebietes, aber außerhalb des Gesichtskreises der Braut" liegen muss, eine grüne Ehrenpforte gebaut und bisweilen mit den Insignien des Bräutigams, z. B. wenn er Schütze ist, mit kleinen Scheiben, verziert. An jede Seite der Pforte kommt eine große "Pechkerze", das heißt ein gehöriger Holzprügel, mit einer Vertiefung oben, in welcher Pech brennt. Der Durchgang wird durch eine Kette gesperrt, welche in der Mitte aus Stroh besteht. Zwei Wächter stehen neben ihr, an einem nahen Feuer sieht man Musikanten, den Hauptmann, einen Wirt mit einem Schnapsfässchen, wohl auch mit einem Kessel, in welchem er scheinbar Branntwein siedet, einen Zigeuner, einen Bettler, einen Auswanderer, der auf dem Bücken etwa eine große "Heimensteige" mit einer Katze hat, endlich das nie fehlende "Angele", ein "Weiblein", welches auf dem Rücken oder in einem Korb sein "Männlein" trägt und gewöhnlich eine Geige mit einer oder zwei Saiten führt. Diese ganze malerische Gesellschaft erwartet den Bräutigam, welcher ungefähr gegen elf Uhr mit dem Kasten und einigen Begleitern angefahren kommt, mit Jubel, Musik und Böllerknallen empfangen, aber durch die Kette aufgehalten wird. Entweder in Person oder durch den ihn begleitenden "Reimer" verlangt er den Durchzug, welchen der "Reimer" der Gegenpartei, hinter der Klause postiert, entschieden verweigert. Nun beginnt das Wortgefecht, welches nur in Reimen geführt werden darf und oft mehrere Stunden währt. Nicht umsonst ist der Bräutigam vorher um Erlaubnis zur Errichtung der Klause angegangen worden, denn er hat bei der Lustbarkeit die unangenehme Rolle: jede Person der Gegenpartei weiß einen Stichreim auf ihn, und wenn ihm nicht gleich eine Erwiderung einfällt, so streicht ihm das "Angele" ein paar recht schneidende Geigentöne in's Gesicht. Dazwischen wird gefiedelt, geknallt und von den Zuschauern, unter denen sich wohl auch die Braut befindet, gellend gelacht. Endlich, nachdem die beiden "Reimer" Alles erschöpft haben, was sich zum Preis der eigenen und zum Spott der andern Partei immer vorbringen ließ, erklärt der "Klausenmacher" sich für besiegt, der Bräutigam reicht ihm das Trinkgeld, und der Hauptmann befiehlt das Zerhauen der Kette.
In Defereggen, einem Seitental der Iselregion, steht, wenn die Aussteuer der Braut in das Haus des Bräutigams geführt wird, das Bett aufrecht im Wagen, so dass alle Welt es sehen und bewundern kann. Die jungen Männer heiraten ungewöhnlich früh, und der Vater ist es, der die Braut wählt und sie im Wirtshaus in Gegenwart von Zeugen dem Sohne vorschlägt. Dieser geht meistens auf den Vorschlag ein, und es werden Brautwerber ausgesandt, welche nach allen Regeln um das Mädchen anhalten. Wird ihnen eine Abweisung zu Teil, so heißt es: "der Bräutigam hat den Schlegel bekommen." Ist die Antwort günstig, so ziehen Vater und Sohn, Brautwerber und Zeugen heim, und die Mutter bereitet die "Brautflötschen", eine Art Kuchen, bei dessen Verzehren der eigentliche Heiratsvertrag geschlossen wird. Während des Brautstandes trägt die Braut weiße Schuhbänder, am Hochzeitstage weißwollene Strümpfe, einen blautuchnen Rock und das Haar mit vergoldeten Bändern in lange Zöpfe geflochten, welche ihr über den Rücken herabhängen. Die Gäste haben auch etwas auf dem Rücken: jeder einen ledernen Sack, welcher als Geschenk für den Bräutigam einen Vierling Getreide enthält. Geld, Linnen und Windeln haben sie bereits gegeben, als sie vom Bräutigam mit dem Brautführer einerseits und von der Braut mit der Brautmutter andererseits zur Hochzeit eingeladen wurden. Beim Hochzeitsamt geht man zum Opfer; die Jünglinge ziehen voran, dann kommen mit Zwischenpausen Bräutigam und Brautführer, Braut und Brautmutter und schliesslich die Jungfrauen. Ist die heilige Handlung vorüber, begeben die Männer sich in das Wirtshaus, die Frauen bleiben in der Kirche zurück und verharren dort so lange in ihrer Andacht, bis die Männer nach mehrmaligem Auffordern sie derselben mit einiger Gewalt entreißen.
Die Bewohner der Iselregion sind slowenischer Abkunft, in Lienz haben die Slowenen sich mit den Bojoaren gemischt, und zwar so, dass an der Schattenseite das slawische, an der Sonnenseite das germanische Element vorherrscht und mit diesem zugleich Lust, Lärm und Leben, was Alles bei der Hochzeit zur Geltung kommt.
Ist es dem jungen Mann geglückt, dass er keine abschlägige Antwort und in Folge derselben Körbe und Schlegel an Haustür und Fenster und beißende Knittelreime zu hören bekommen hat, so werden sämtliche Blutsverwandte, so wie alle Nachbarn und Bekannte geladen, die nur irgend vorhanden sind, je mehr, je besser: man kann der Gäste nicht genug haben. Ein Frühschmaus, bei welchem "der Brautwein" eine wichtige Rolle spielt, vereinigt sie am Hochzeitsmorgen, die Männer im Hause des Bräutigams, die Frauen in dem der Braut. Zur Trauung fährt und geht man in die Ortskirche, von dieser gleich nach der Stadt in's Wirtshaus, aber ja auf dem weitesten Wege, damit die Hochzeitsgesellschaft sich gehörig ausjauchzen könne. Kaum angelangt, stürzt sie sich in den Tanz. Man dreht sich im Walzer; im "deutschen", der eigentlich volkstümlichen Tanzart, vollführen die Bursche die seltsamsten Sprünge, während "die Tänzerinnen in sanftem Schweben weibliche Anmut entfalten", oder doch wenigstens die Absicht haben, es zu tun. Endlich haben Alle sich für den Augenblick ausgetobt und finden Ruhe und Hunger genug, um sich an die Tafel zu setzen, welche auf das Reichlichste zu besetzen eine Ehrensache für den Wirt ist. Jeder Gast bekommt von jeder Speise auf seinen Teller; was ihm zu viel wird, das nimmt er als "Bescheidessen" mit sich nach Hause. Kaum ist abgegessen, so bricht der Tanz wieder los, und während er tobt und tost, benutzen einige kecke Bursche den ersten günstigen Augenblick, um die Braut dem Brautführer zu stehlen und nebst einigen Musikanten in ein benachbartes Wirtshaus zu entführen, wo der "Winkeltanz" getanzt und auf Kosten des Brautführers getrunken wird. Das währt so lange, bis der Brautführer zu Pferde erscheint und die Braut zu der Gesellschaft zurückholt, worauf der Tanz noch toller anhebt und der wilde Lusttumult fortrast, bis die Nacht anbricht, und das Brautpaar sich zur Heimfahrt anschickt.
Die Spielleute ziehen voran, die Gäste drängen nach - sie müssen doch sehen, ob die Braut weinen wird. Die Braut weint, die Gäste jauchzen, schnalzen und pfeifen, und begleitet von diesem melodischen Ausbruch ihrer Gefühle rasselt der Wagen dahin und führt das Brautpaar in seine Heimat, wo es mit wenigen Freunden noch eine kurze Nachfeier hält. Wohnt es dagegen nicht entfernt genug vom Wirtshaus, um fahren zu müssen, so wird es von sämtlichen Gästen paarweise unter Vortritt der Spielleute nach Hause geleitet. Dort tanzt man in der engen Stube den Kehraus, und zieht dann auf's Neue in's Wirtshaus, wonach einiger Zeit auch das Brautpaar, das sich inzwischen umgekleidet hat, nochmals erscheint. Am folgenden Tage, dem sogenannten "Eier- und Schmalztage", gibt der Bräutigam noch einen "Freinachschmaus".
Auch in Gröden ist dieses Nachmahl üblich, und heisst dort ebenfalls "Eier im Schmalz", auf romanisch "ueves in tè schmauz." Sonst aber ist die Hochzeit von der in Lienz ebenso verschieden, wie der romanische Stamm der Grödner von dem windisch-germanischen in Lienz. Braut und Bräutigam erscheinen, geleitet von ihren Vätern - sind diese tot, in Begleitung der nächsten Anverwandten, am Tage vor dem ersten Aufgebot beim Pfarrer, tauschen das Eheversprechen aus, und werden dadurch "nevitsch" und "nevitscha". Am Tage des ersten Aufgebots selbst gehen sie in eine benachbarte Kirche, um sich dem Begaffen der Neugier zu entziehen. Dagegen zeigen sie sich beim zweiten Aufgebot in der Ortskirche, beide festlich angetan, die Braut in roten Ärmeln und grünem Hut, begleitet von der "Kranzeljungfrau", der "prima dunsella". Am Tage des dritten Aufgebots empfangen sie, schwarz gekleidet, "vor allem Volk" das Abendmahl, nachdem sie, gleichfalls in schwarzer Tracht, die Woche vorher den Geistlichen, die Verwandten und nächsten Freunde zur Hochzeit eingeladen haben. Am folgenden Dienstag frühstücken die Gäste des Bräutigams in seinem Hause, die der Braut in dem ihrigen. Hier erscheint ein Abgesandter des Bräutigams, nimmt Teil am Mahl, erhebt sich beim Ende desselben und spricht: "Ich weiß, hier wird ein köstlicher Schatz meines Gebieters aufbewahrt; ich bin von ihm bevollmächtigt, denselben zu erheben. Ich vertraue fest auf die Redlichkeit der Hausbewohner, dass sie mir denselben treu ausliefern werden." Man zögert etwas, aber doch nicht lange; dann wird die Braut ihm vorgestellt, und "der Huld und Milde seines Gebieters" anempfohlen, während man ihr selbst die Pflichten
einer guten Gattin einschärft. Nach der Trauung zieht die Gesellschaft auch hier in's Wirtshaus zum Mahle, zu welchem der Geistliche durch zwei eigene Abgeordnete aus dem "Widum", der Amtswohnung, abgeholt wird. Wenn das Rindfleisch mit dem "Zugemüse" auf den Tisch kommt, erheben sich der "prim dunsell", der erste Junggeselle, und die "prima dunsella", und tanzen nebst mehreren andern Paaren den "Krauttanz", "bal delcraut". Das Sauerkraut, das "Ehrenkraut", darf auf keiner Hochzeitstafel fehlen, und gibt zu mancher Zeremonie Anlass: im Oberinntal z. B. wird bei seinem Auftragen unter dem Krachen der Mörser der Braut der Kranz abgenommen und auf den Hut des Bräutigams gebunden. In Gröden geht nach dem "bal del craut" das Mahl ruhig weiter, bis nach dessen Beendigung der Brautführer oder der Priester sich erhebt, um dem Bräutigam für das stattliche Freimahl eine Lobrede zu halten. Dann holen die Neuvermählten ihre bisher abwesenden Eltern zum "Spätmahle" ab, und der wirkliche allgemeine Tanz beginnt und währt bis zehn Uhr, worauf Alles sich ruhig nach Hause begibt.
So musterhaft ordentlich endet freilich die Hochzeit nicht in Ampezzo, welches mit Lienz den Brautraub gemein hat. Man glaubt, dass die Ampezzaner ein verschlagener deutscher Stamm sind, welcher sich allmählich notgedrungen italianisiert hat. Ihr Idiom wenigstens ist sehr schlecht, um so vorzüglicher war ihre alte Gemeindeverfassung, welche Patriarchen von Aquileja und venezianische Dogen ihnen bestätigten, und die sich ganz besonders mit der Ehe befasste. Wer die Tochter ohne Einwilligung des Vaters, die Schwester ohne Zustimmung der Brüder heiratete, musste sowohl an die Verwandten, wie an das Gericht beträchtliche Geldstrafen zahlen, noch nicht gerechnet, dass die Frauen ihr Erbrecht verloren. Auch über die Reinheit der Sitten wurde gesetzlich gewaltet: ein Kuss, der einem Mädchen wider Willen geraubt wurde, kostete zehn Gulden Strafe. Noch jetzt erhält das verlobte Mädchen, die "Novizin", von ihrer Familie unter dem Namen "brontola" (Brummbärin) eine verständige Frau als Aufseherin, ohne welche sie nie ausgeht. Die "brontola" begleitet sie selbst, wenn sie mit ihrem Bräutigam und den übrigen Paaren am Sonnabend vor dem ersten Aufgebot in die Kirche zieht, denn die Ampezzaner werden rudelweise getraut, und zwar ausschließlich im November, im Fasching, zu Ostern, und zu Petri und Pauli. In Prozession führt der Küster die sechs bis zehn Paare in's Widum zur Prüfung. Ist die überstanden, geht man zurück in die Kirche, und dann, um sich von der Angst des Examens zu erholen, in's Wirtshaus. An den Tagen des Aufgebots zeigen die Mädchen sich in der Kirche das erste Mal grün, dann blau und endlich abermals grün. In der Tasche tragen die Bräute vom ersten Aufgebot an Kuchen, welche sie an Jedermann verteilen; am Dienstag nach dem letzten Aufgebot, das heißt am Hochzeitstage, werden sie ihnen in Körben nachgetragen. Die Pluralität der Bräute erinnert an Dalekarlien; sie währt indessen nur bis zu dem Augenblick, wo die getrauten Paare den Pfarrer in's Widum begleitet haben. Von hier an zieht jede einzelne Hochzeit für sich in's Brauthaus, aus welchem jedoch die nicht geladenen Freunde und Nachbarn des Bräutigams zu Pferde und bewaffnet mit Schwertern sogleich die Braut entführen und in die Kirche zurückbringen. Nach den nötigen Unterhandlungen wird sie von ihnen dem Bräutigam wieder zugeführt, und nun erst kann das siebenstündige Hochzeitsmahl beginnen. Während desselben schmausen die "Reisigen" einige Stunden im Hause des Bräutigams, dann sitzen sie wieder auf, und stürmen von Neuem dem Brauthaus zu. Sie finden es verriegelt, donnern an die Tür: versteckte Contrebande wollen sie herausholen. Abermaliges Parlamentieren, welches nach einer halben Stunde mit einem großen Korb voll Esswaren und Flaschen endet, den die "Reisigen", plötzlich beruhigt, dankbar in Empfang nehmen und durch eine sittige "Aufforderung zum Tanze" erwidern.
Zu Predazzo im Avisiotale kommt der Bräutigam am Vorabend der Hochzeit mit Musik vor das Haus seiner Braut, klopft an die verschlossene Tür, und begehrt seine Geliebte. Alle Frauen des Hauses werden, die älteste und hässlichste zuerst, ihm der Reihe nach vorgestellt und von ihm natürlich unter vielem Gelächter abgelehnt, bis endlich die Braut erscheint und er mit ihr bei allgemeinem Jubel in das Haus einzieht. Dieser Gebrauch modifiziert sich in Vallarsa auf die Art, dass es der Bräutigam ist, welcher
seiner Mutter sämtliche anwesende Frauenzimmer eine nach der andern vorführt und sie bei jeder fragt: ob das ihre Schwiegertochter sei? Die Mutter hat, während die Neuvermählten im Hause der Braut speisten, das ihrige in Ordnung gebracht, einen Besen quer über die Schwelle gelegt und, an der Tür stehend, den Brautzug erwartet. Auf die Anfragen des Sohnes antwortet sie so lange mit Nein, bis er ihr die echte Braut bringt. Da sagt sie Ja, die Braut hebt den Besen auf und hält ihn, bis die Mutter ihn ihr wegnimmt und bei Seite stellt, die Mutter führt die Neuvermählten in die Brautkammer, und Beide empfangen ihren Segen.
Fassa hat zu den Brautzügen eine besondere Fahne. Das erste Gericht auf der Tafel muss ein Kalbskopf sein, und die Braut selbst die Gäste bedienen. In Enneberg, wo die Hochzeiten gern im Winter gehalten werden, um eine festliche Schlittenfahrt damit verbinden zu können, ist der Tanz die Hauptsache. Eine Hochzeit, bei der nicht getanzt würde, käme den Ennebergern wie ein Unding vor, denn der Tanz ist für sie nicht blos ein Vergnügen, sondern eine Institution. In früheren Zeiten hatte jede Gemeinde so gut, wie Kirche und Schule, einen öffentlichen Tanzsaal mit einem Zeremonienmeister, und fehlte dieses unentbehrliche Lokal, so musste der Widum es ersetzen.
Das Alles geschieht im wälschen Südtirol. Wenn man in das deutsche, in's Etschland, hinüber kommt, wie anders, wie klang- und lustlos wird da geheiratet! Ehedem spielte die Musik nicht nur zum Gange in die Kirche, sondern auch während des Essens und nach dem Essen, zum Tanzen, erst recht auf, kurz, es ging zu, wie es in einem üppigen südlichen Weinland zuzugehen pflegt. Jetzt ringelt das Weinlaub sich noch so voll wie je um die Lauben, und auch der Trauben sind nicht weniger , aber Lied und Tanz sind zu Sünden gestempelt worden, und statt dass die Geistlichkeit früher sich nach dem Mahle diskret entfernte, um die Hochzeitslust nicht zu hemmen, bleibt sie jetzt bis zu Ende, und erhält durch ihre Gegenwart jeden möglichen Ausbruch des Humors in den gebührenden Grenzen der Langeweile. Der ganze Vorgang der Ehe hat etwas trübselig Geschäftliches angenommen; der Pfarrer redet in die Brautwahl mit ein; selten heiratet der Bauer aus Liebe und dann auch nur die Tochter eines Bauern - die eines Tagelöhners wird durch allen Reiz, den sie etwa besitzen mag, nicht würdig, eines Bauers Weib zu werden. Kennt der heiratslustige junge Mann noch nicht das Mädchen, welches sein Pfarrer ihm empfohlen hat, so begibt er sich in das von ihr bewohnte Gehöft und lässt sich unter dem Vorwand eines Ochsenkaufes in den Stall führen. Der vorgeschützte Handel wird im Hause bei "einem Maß Wein" genauer besprochen, der sogenannte Kauflustige rückt damit heraus, dass er in seine Wirtschaft eine Frau brauche, und die Sache ist eingeleitet. Hat sie guten Fortgang, so findet im Gasthaus der "Handschlag", das Verlobungsfest, statt, zu welchem die Braut, die es gibt, die nächsten Verwandten einladet. Die "Arr" oder das "D'rangeld" beträgt je nach den Verhältnissen zehn bis zwanzig Napoleonsd'or; wird die Braut noch andern Sinnes, schickt sie dem Bräutigam die "Arr" zurück. Die nötigen Einkäufe werden in der Stadt gemeinschaftlich gemacht; die Braut bringt das Bett und eine "politierte" Kommode mit, welche die buntbemalte Truhe mit Namen und Jahreszahl verdrängt hat. Von Geschenken gibt der Bräutigam einen "Kittel" aus feinem Tuche und eine goldene Haarnadel; das Koller aus feinen Spitzen wird als altmodisch nicht länger hinzugefügt. Die Braut schenkt ein Paar feine weißwollene Strümpfe, in welche doppelte Adler oder andere Zierraten eingestrickt sind, und ein feines Hemd, welches der Bräutigam am Hochzeitstag tragen muss. Dieser wird gewöhnlich zu Weihnachten, Lichtmess oder Georgi festgesetzt. Am Vorabend beichten die Brautleute, am Trauungstag ist die Kommunion, der "Wid'nbesuch" ist während des Aufgebots vor sich gegangen. Die Braut beschenkt ihre neuen Anverwandten und ihre künftigen Dienstboten; die Gäste bekommen Taschentücher, die Männer noch besonders Sträuße von künstlichen Blumen. Ein Bauer, der Geld hat, ladet nicht selten sechzig bis achtzig Gäste zum Mahl, welches im besten Gasthaus der Stadt oder auf einem entfernten Dorfe gehalten wird und oft fünfzehn bis dreißig Gänge stark ist.
Noch mehr oder doch noch länger und auch noch mit größerer Schwerfälligkeit und Langweiligkeit wird gegessen in Passeier, dem merkwürdigsten Nebental des oberen Etschlandes. Das Eheschließen dagegen findet weniger prosaisch statt, indem der Passeierstamm, in welchem bei rhätischen und römischen Elementen das alemannische entschieden vorherrscht, zum Träumen und Schwärmen geneigt und daher einer Hingebung an die Liebe fähiger ist, als der auf Erwerb bedachte Etschländer. Die definitive Werbung geschieht meistens, wenn die Mädchen und jungen Leute von einem Kreuzgang oder einem Markt in Meran heimkehren, welches für sie, wie für den Engländer London, vorzugsweise die "Stadt" heißt. Da kommen denn in Saltaus, auf der Hälfte des Weges, die verschiedenen Bewerber mit Wein und Kaffee an, und der, aus dessen Hand die Schöne diese Erfrischungen annimmt, darf als glücklicher Erwählter triumphieren. Die übrigen "lassen lugga", das heißt, sie entfernen sich beschämt und still, nehmen aber höchst wahrscheinlich an den bald folgenden Katzenmusiken Anteil und damit ihre Rache.
Die Katzenmusiken sind in Tirol beliebt und ziemlich häufig, denn sie geben der natürlichen Spottsucht des Volkes Nahrung. Im Oberinntal findet, wenn eine Heirat, die schon bis zum Handschlag gediehen war, von Seiten des Bräutigams abgebrochen wird, vor dem Elternhaus der verlassenen Braut die sogenannte "wilde Hochzeit" statt, und zwar gerade an dem Sonntage, welcher zum ersten Aufgebote bestimmt war. In Wälschtirol werden mit den "macaluzzi", wie diese Art Konzerte dort heißt, die Witwen und auch die Witwer beglückt, welche sich wieder zu verheiraten gedenken. Ein Fässchen Wein ist der Preis, um welchen man sich von dieser Plage loskauft; bei Innsbruck kostet eine zweite Brautschaft einer Witwe selbst das nicht, sie muss nur am Hochzeitstage eine Hose flicken.
In Passeier werden die letzten zwei Wochen vor der Hochzeit dazu angewandt, allnächtlich um das Haus des Bräutigams, seltener um das der Braut herzutoben. Wenn der Bräutigam selbst früher ein eifriger Katzenmusikant gewesen ist, so kann er es wohl erleben, dass seine ehemaligen Gesellen sogar bis auf's Dach hinaufsteigen, um mit Bockshörnern, Küchenpfannen, Hafendeckeln und Pistolen ihm Serenaden aufzuspielen, die bis Mitternacht währen und ihren Höhepunkt am Vorabend der Hochzeit erreichen. Dass der Bräutigam dabei in grobsalzigen "Herzwehsprüchen" allerlei wenig Erfreuliches über seine Eigenschaften, seine Werbung, seine früheren Körbe, die Mängel seiner Braut und noch mehr geheime Dinge zu hören bekommt, versteht sich von selbst. Indessen er ist klug, lässt lärmen und schweigt, lässt spotten und antwortet nicht. Er hat Anderes, Angenehmeres zu tun, er geht mit seiner Braut in die "Stadt" oder auf irgend eine Wallfahrt, Ausflüge, auf denen ein besonders guter Freund von ihm, eigens dazu auserwählt und oft vom Seelsorger bestätigt, als Ehrenwächter mitzieht. Leider wird bei solchen Gelegenheiten der neue Wein des Etschlandes dem Mädchen leicht etwas zu viel, und es kann der Fall eintreten, dass der Verlobte die "Seinige" auf seinem Rücken in die Nachtherberge tragen muss.
Am Hochzeitsmorgen jedoch ist sie ganz sicherlich nüchtern, denn da wird sie bereits um vier Uhr durch die Böllerschüsse geweckt, welche die Trauung verkündigen. Dieser Tag ist hauptsächlich für den Geistlichen ein schwerer. Er muss den Zug, welcher ihm paarweise folgt, vom Hochzeitshaus nach der Kirche und aus dieser in derselben Ordnung nach dem Wirtshaus führen, er muss von zehn Uhr Morgens bis um sieben Uhr Abends beim Hochzeitsmahl sitzen, indem seine Abwesenheit als unheilbringend für die neue Ehe gelten würde. Es wird an zwei Tischen gespeist; an dem, wo das junge Volk sitzt, geht es nur Anfangs stumm her und wird allmählich bis zur Ausgelassenheit laut. Aber am Brauttische, wo die Vornehmeren und Älteren speisen, bleibt es stocksteif die ganzen neun langen tötenden Stunden hindurch. Der Bräutigam legt der Braut vor, die mit ihm von einem Teller isst, und ruft ihr wieder und wieder zu: "Iss; solche Kost haben wir heute das erste und letzte Mal; dann heißt es sparen." Das ist der einzige Versuch, den er zur Unterhaltung macht. Die Gäste ihrerseits sagen gar Nichts, sondern stopfen sich in feierlichem Schweigen, und soll die Langeweile nicht geradezu lebensgefährlich werden, so muss der Geistliche sich entschließen, den Sprecher und Spaßmacher zu spielen.
Die Liebeserklärung durch das "Bringen" eines Glases ist so gut wie im stillen Passeier, auch im lauten Zillertal gebräuchlich, nur dass der "Bescheidtrunk" dort aus Branntwein besteht. Das Paar, welches sich einig getrunken hat, geht hier ebenfalls zum Herrn Pfarrer, ein Weg, den sie "beten gehen" nennen, vorher indessen sind sie zur Anmeldung beim "Landgericht" gewesen und zwar dem Anschein nach so mürrisch wie möglich, weil verdrießliche Gesichter bei dieser Gelegenheit Glück in der Ehe bedeuten sollen. Nach der ersten "Aufkündigung" ladet der Hochzeitsbitter im Namen des ihn begleitenden Bräutigams und der "Kanzelbraut" die Gäste ein, die am festlichen Tage vom Brautpaar und der "Brautmutter", einer Verwandten des Mädchens, im Brauthaus empfangen werden, wo schon am Abend vorher für die nächsten Blutsfreunde und Nachbarn bei Branntwein, Bier und Brot ein Nachttanz gehalten worden ist. Die Gäste müssen sich um Hut und Arme Kränze von Silberdraht, "Flinsern" und Glasperlen, so wie rote Lederstreifen mit messingverzierten Spitzen winden lassen; diese letzteren heißen "Nesteln", und sollen verhindern, dass dem Brautbett nichts Böses geschehe. Die Morgensuppe besteht aus Rinderbrühe, Braten, Würsten, Semmeln, Kücheln, Bier und Branntwein. Sind an zwei- bis dreihundert Gäste geladen, so essen sie wohl zwei ganze Rinder auf, und das in höchster Eile, damit sie schnell genug zum "Haustanz" kommen, d. h. sich in der Stube oder auf der Heudiele paarweise in eine dichte Masse zusammendrängen und mit gewaltigem Stampfen unaufhörlich in die Höhe schnellen, weil sie keinen Raum finden, um sich regelrecht zu drehen. Dieses echt zillertalerische Vergnügen währt bis um zehn Uhr, wo die Kirchenglocke zum ersten Mal ertönt und jeder Gast aus der Hand der Brautleute den "Ehrentrunk" empfängt, den er auf ihr künftiges Wohlsein trinkt. In die Kirche ziehen die Musikanten voraus, ihnen nach die Jünglinge, zwei der schönsten von diesen als "Mantelträger" oder "Jungfernknechte" vor den Mädchen her, welche in den Haaren Kränze, am Arm den blumengeschmückten, nestelumflochtenen Hut tragen, und von den übrigen Mantelträgern, vier oder sechs an der Zahl, gefolgt werden. Darauf kommt, einen Kranz von Silberdraht im Haare, der Bräutigam, ihm zur Seite der Geistliche mit einem großen Kranz am Arme, neben dem Hochzeitsbitter der Gastwirt, und dann paarweise die Schar der verheirateten Männer. Die verheirateten Frauen folgen in gleicher Weise der Braut, welche, geleitet von der Brautmutter und einem zweiten Geistlichen, im Haar den Rosmarinkranz, in der Hand den Rosenkranz und am Gürtel das mit Spitzen besetzte "Tränentuch" trägt, denn "die Brauttränen müssen gekrischen werden", wie das Sprichwort sagt: was die Braut bei der Trauung nicht weint, das wird sie in der Ehe weinen, ist der Glaube in ganz Tirol so gut wie anderswo. Auch die Sitte ist eine in Tirol allgemeine, dem Brautpaar den "St. Johannissegen", d. h. am 27sten Dezember in den Kirchen geweihten Wein, zu reichen. Im Zillertal geschieht es bei Beendigung des Gottesdienstes; zuerst kommt die Trauung, darauf das musikalische Amt und das Opfer, bei welchem man brennende Kerzen in der Hand trägt, und dann wird der heilige Wein dem Brautpaar und den nächsten Diensttuenden vom Priester, den Gästen von den Mantelträgern gereicht, während die Musikanten bald einen Marsch, bald ein Wiegenlied hören lassen. Der Zug in's Wirtshaus erfolgt in der früheren Ordnung, dort aber löst die Hochzeitsgesellschaft sich auf, besucht die andern Wirtshäuser, tanzt in allen und versammelt sich erst wieder um drei Uhr Nachmittag zum Mahle, welches an Tischen zu zwölf bis vierzehn Personen und in zwei Abteilungen eingenommen wird. Die erste beginnt mit Suppe, bringt alsdann sämtliche Teile des Kalbes vom Kopf bis zu den Füssen, und endet mit Knödeln, Speck und dem "Ehrenkraut". Auf dieses folgt eine Rede des Hochzeitsbitters, welche von allen Gästen stehend angehört wird, dann betet man ein Vaterunser, ein Ave Maria und setzt sich zur zweiten Abteilung des Mahles nieder. Eine Torte von Butterteig in Gestalt einer Schlange erscheint zugleich mit einer verdeckten Schüssel, deren Inhalt, eine Wiege, die Braut möglichst geschwind bei Seite bringt. Ein "Pfefferkoch" (gehackte Birnen mit Pfeffer), das Bruststück eines Kalbes, gebratene Leber, Reis in Milch mit getrockneten Pflaumen sind die übrigen Gerichte, nur auf dem Brauttisch prangt noch eine Pastete neben einer Mandeltorte. Ist Alles verzehrt, so setzt der Wirt ebenfalls auf den Brauttisch einige Flaschen süßen Weines, von welchem den herantretenden Gästen zur Vergeltung ihrer hochzeitlichen Geldgeschenke ein Trunk gereicht wird. Diese Gaben heißen das "Waisat", decken die Kosten der Hochzeit, gewähren den Brautleuten noch einen baren Zuschuss zum Beginn der Haushaltung und werden in ein Protokoll eingetragen, um bei ähnlichen Gelegenheiten zurückerstattet zu werden. Das Mahl hat sechs Stunden gewährt, ebenso lange der Tanz, ja, dieser dauert noch eine Stunde länger, bis um zehn Uhr. Dann erst ziehen die Gäste, die Bursche jauchzend und singend, auf ihre Berge zurück.