Zwei Seelen und ein Gedanke

Polterabend-Schwank mit Gesang.

Personen.

Die männliche Seele.
Die weibliche Seele.
Eine Stimme.

(Szene: Zimmer, im Vordergrund rechts ein Fenster. Tische, Stühle. Links ein großer Spiegel, etwas zurück ein kleiner Arbeitstisch, worauf ein Stickrahmen. Mitteltür, links eine Seitentür.)

1. Szene.

Sie (in Kleidung und Haltung einer 50jährigen Matrone, eine Quetschbrille auf der Nase, steht am Fenster und grüßt hinaus. Die Sprache ist etwas näselnd). Morgen Herr Wolke, morgen - schon so fleißig? (schnupft) ja, seh, schönes Wetter, - wenn es nur nicht noch regnet - (grüßend) morgen Herr Wolke (tritt vom Fenster zurück und geht in den gewöhnlichen Ton über). Gott sei Dank - jetzt ist er fort - (lacht) Hahaha! wie respektvoll er mich gegrüßt hat. Hätte mein liebeglühendes vis-à-vis eine Ahnung davon, welche Komödie ich mit ihm spiele, würde er's wohl haben bleiben lassen. Allein, was blieb mir übrig, er verfolgt mich mit seiner Liebe auf Tritt und Schritt. Unglücklicher Weise mußte meine Tante vor einigen Tagen nach Potsdam reisen, und mich allein hier zurücklassen. Um nun allen Eventualitäten zu entgehen, entschloß ich mich zu dieser Maskerade. Ich beginne damit, mich des Morgens meinem Herrn vis-à-Visten, der neben andern Schwächen auch die Untugend besitzt, Wolke zu heißen, als Tante am Fenster zu zeigen, damit ich den übrigen Teil des Tages als Nichte vor ihm Ruhe habe. - Das ist nun geschehen und ich will die Ouvertüre des materiellen Genußlebens beginnen, oder prosaischer ausgedrückt, frühstücken gehen (ab links).

2. Szene.

Er (steckt, bevor er eintritt, vorsichtig den Kopf durch die Mitteltür und sieht sich überall um. - Er trägt ein Paket Akten unterm Arm). Kein Mensch hier - so eben stand noch der alte Drache von Tante am Fenster und paßte mich, wie gewöhnlich, ab. Da sie mich fortgehen sah, wird sie sich wohl gedrückt haben. Die Gelegenheit zu einer Erklärung wäre jetzt günstig, wenn nur mein Gegenstand kommen wollte (horcht nach links). Geräusch in diesem Zimmer - ist das die Alte oder die Junge, das ist hier die Frage! Wir wollen gleich einmal sehen - (er guckt durchs Schlüsselloch, die Tür öffnet sich rasch und trifft ihn an die Stirn.)

3. Szene.

Er. Sie.

Er (prallt zurück und hält sich den Kopf). O weh - es ist die Alte.
Sie (näselnd). Sie - Hier? - was wollen Sie hier mein Herr?
Er (für sich). Was sage ich nur rasch? - (laut, in barschem Tone) was wollen Sie hier Madam?
Sie. Ich bewahre das Haus vor frechen Eindringlingen, die es auf meine Nichte abgesehen haben. -
Er. Sie wissen also schon, daß ich's auf Ihre Nichte abgesehen habe. Desto besser, dann können wir gleich zur Hauptsache übergehen. Madam Packebusch, ich liebe Ihre Nichte. -
Sie. Meine Nichte liebt Sie aber nicht.
Er. Ich liebe sie für zwei - das gleicht sich also aus. Ich bin 25 Jahr alt, Bürovorsteher bei Deyks *) mit 600 Taler Gehalt und im Sommer frei Holz, außerdem bin ich militärfrei und zweimal geimpft. Sie sehen also ein, daß ich keine zu verachtende Partie bin. Madam Packebusch, ich halte hiermit um die Hand Ihrer Nichte an. -
Sie. Meine Nichte will sich aber noch nicht verheiraten.
Er. Noch nicht? Wie viel Lenze zählt Ihre Fräulein Nichte?
Sie (unwillig). Das weiß ich nicht.
Er. Das ist gerade das schönste Alter zum Heiraten.
Sie (zornig). Sparen Sie alle Redensarten - Hier ist die Tür.
Er. Da Sie so schreien, nun gerade nicht (setzt sich). Ich bleibe hier, das braucht Sie aber weiter nicht zu genieren, und wenn Sie ausgehen wollen, können Sie immerhin gehen - Ich werde indessen Ihre Nichte bewachen.
Sie (in gesteigerter Wut). Wenn Sie nun nicht gleich gehen, werde ich um Hülfe rufen.
Er. Rufen Sie, so viel Sie wollen, ich weiche nicht eher, bis ich Ihre Nichte gesprochen habe.
Sie (drohend). Sie wollen nicht gehen? - Eins - Zwei - Drei -
Er (ruhig). Vier - Fünf - Sechs -
Sie (in steigendem Zorne sich vergessend). Sieben - Acht - Neun -
Er (wie oben). Zehn - Bube - Dame - König - As.
Sie (wütend). Das sollen Sie mir büßen - Sie - Sie - Sie - (ab links).

[*) Name eines Rechtsanwalts, der mit einem beliebigen anderen vertauscht werden kann.]

4. Szene.

Er. Bitte sehr, gleichfalls. Der Flegel ist ihr in der Kehle stecken geblieben. Hu! Der alte Drache schnaubt Rache. Ich werde also doch an den Rückzug denken müssen, es ist empörend. Was mag sie gegen mich haben, daß sie meinen Liebesversicherungen keinen Glauben schenken will? - Sollte sie vielleicht meiner Jugend mißtrauen? Ich müßte einen alten Vater oder Onkel zu ihr schicken, der für mich anhielte. Ja, aber woher nehmen und nicht stehlen? Mein Vater ist schon als Kind gestorben, d. h. natürlich als ich noch ein Kind war und einen Onkel habe ich nie besessen. - Halt, da hab' ich eine köstliche Idee - wie wär's, wenn ich selbst meinen eigenen Onkel spielte? Auch ich bin in Arkadien geboren und habe in der "Euterpe" *) den Narziß, Kieselack und Egmont geleistet, also werde ich so einen Onkel wohl auch noch fertig bekommen. Ich tue dann so, als ob ich die Alte schon wer weiß wie lange kenne, das wird mir ihr Vertrauen erwerben - oder noch besser, ich sage ihr, daß wir uns vor vierzig Jahren einmal sehr geliebt haben. Sie wird mich als alte Flamme akzeptieren und das Übrige wird sich dann finden. So mögen denn Apoll und die neun Musen mir zur Seite stehen. - (Ab durch die Mitte.)

[*) Ein Liebhabertheater in Berlin.]

5. Szene.

Sie (von links). Er ist fort - nun will ich mich aber zur Sicherheit einschließen - (tut es). Es ist komisch, er will mich mit aller Gewalt heiraten. Der junge Mensch ist übrigens gar nicht so übel, er besitzt etwas Keckes in seinem Benehmen, das mir wohl gefällt, und wenn er mich wirklich so liebte, wie er sagt - - Bah, denken wir nicht daran, ich will mich noch nicht verheiraten.
(Sie hat sich mittlerweile an den Stickrahmen gesetzt, stickt und singt dabei ein beliebiges Lied, ohne Musikbegleitung, so lange, bis Er anklopft. Der Umzug des Herrn muß so rasch als möglich vor sich gehen, was übrigens leicht bewerkstelligt werden kann, da es genügt, einen langen Überzieher, eine graue Perücke und eine blaue Brille anzulegen.)
Er (klopft).
Sie. Es klopft - (laut) Wer ist da?
Er (draußen). Ich -
Sie. Ich - wer ist dieses Ich -
Er. Ich - Pannemann aus Pasewalk - ich wünsche Madam Packebusch in einer sehr wichtigen Angelegenheit zu sprechen.
Sie (für sich). In einer sehr wichtigen Angelegenheit - (sieht durch's Schlüsselloch) ach - es ist ein Alter, dabei riskiere ich nichts - (öffnet).

6. Szene.

Sie. Er.

Er (als Greis, einen Regenschirm unterm Arm und eine Brille auf der Nase). Könnte ich vielleicht das Vergnügen haben, Madam Packebusch - ja, sie ist es, es sind dieselben Züge, nur etwas gereifter - dieselben schönen Augen, dieselbe griechische Nase - o Julia, kennst Du Deinen Romeo nicht mehr?! (für sich) Sie wird doch auch einmal ihren Romeo gehabt haben?
Sie. Mein Herr, Sie irren, ich heiße nicht Julia -
Er. Wie, Du erinnerst Dich jener schönen Zeiten nicht mehr, wo wir, wie Romeo und Julia, im traulichen Dunkel der Nacht auf dem Balkon von Liebe flüsterten?

Lied.

(Kann nach Belieben ausgelassen werben.)
(Nach der Melodie von Lortzing im "Waffenschmied".)

Einst war ich ein Jüngling mit lockigem Haar,
An Liebe und Hoffnungen reich,
Und Du warst das herrlichste Mädchen fürwahr,
An Schönheit kam keine Dir gleich.
Wir liebten uns innig, wir liebten uns treu,
Und schworen uns täglich so heilig aufs Neu' -
Daß wir uns die Herzen geweiht;
Das war eine köstliche Zeit!

Sie (nachdem er geendet, für sich). Das scheint eine Jugenderinnerung meiner Tante zu sein; ich muß darauf eingehen um den Spaß nicht zu verderben.
Er. Denkst Du wirklich Deines Romeo-Pannemann nicht mehr, des blondgelockten Jünglings vom Mühlendamm?
Sie. Ja, ja - ich entsinne mich -
Er. Wir liebten uns einst -
Sie (verwundert). So?! - - Ach ja, jetzt fällt mir's ein -
Er (für sich). Ein exzellentes Gedächtnis (laut) Wir wollten uns ewig lieben - (seufzt)
Sie (seufzend). Ewig - doch, worin besteht die Mitteilung, die Sie mir zu machen haben? -
Er. Das sollst Du bald erfahren, Julia - (für sich) wenn ich's nur erst selbst wüßte - (laut) Aber wollen wir uns nicht setzen? Unseren alten Beinen ist das lange Stehen nicht zuträglich - (er setzt Hut und Schirm fort, sie setzen sich).
Sie. Nun, ich höre!
Er (ergreift ihre Hand). Teure Julia, Du hast eine Nichte -
Sie. Allerdings!
Er (sich vergessend, feurig). Einen Engel an Schönheit und Anmut -
Sie (sich vergessend). Bitte, Sie wollen mir schmeicheln -
Er. Dir?
Sie (verwirrt). Das heißt - Sie begreifen - ich liebe sie wie meine Tochter - und als Mutter -
Er (für sich). Als Mutter? - Diese Verlegenheit - wenn sie nicht die Tante wär' - wenn - (entschieden) Sie ist gewiß nicht die Tante.
Sie. Wie sagen Sie?
Er (für sich). Na warte, das wollen wir doch gleich heraus haben - (laut mit bewegter Stimme) Dieses reizende Wesen ist jetzt achtzehn Jahr alt - nicht wahr?
Sie. Neunzehn, mein Herr -
Er (sehr bewegt). O, Himmel, meine Ahnung! - und vor zwanzig Jahren - o, das Übermaß der Freude wird mich töten -
Sie. Was ist Ihnen denn?
Er. Du kannst noch fragen? So hast Du Alles vergessen? - O Julia, willst Du dem Vater seine Tochter vorenthalten?
Sie. Ihre Tochter? Meine Nichte wäre -
Er. Deine Nichte - ja, in den Augen der Welt - in Wahrheit aber Deine Tochter und meine Tochter. Wo ist mein Kind? (geht suchend nach dem Hintergrunde)
Sie (für sich). Wär' es möglich? - Ich die Tochter meiner Tante und dieser Greis mein Vater - jetzt erst begreife ich ihre unermeßliche Zärtlichkeit für die elternlose Waise.
Er. Julia, gib mir meine Tochter wieder, ich habe lange genug darnach geschmachtet, sie an mein väterlich Herz zu drücken.
Sie (entschieden, für sich). Es ist so - diese Sprache kommt aus dem Herzen - (laut) Mein Vater, umarmen Sie Ihr Kind - (will sich in seine Arme werfen).
Er. Wie? - Du?
Sie (reißt Haube und Brille ab). Ich bin Ihre Tochter!
Er. Tochter? - Du? - O! (er umarmt und küßt sie heftig auf Mund und Stirn, sie faßt, indem sie ihn um armt, an die Perrücke, durch eine Bewegung, die er macht, gleitet sie vom Kopfe und bleibt in ihren Händen. Sobald sie es bemerkt, prallt sie mit einem lauten Schrei zurück.)
Sie. Sie haben mich hintergangen - Sie sind kein Alter -
Er. Ich werde mich aber bestreben, so alt als möglich zu werden (stürzt zu ihren Füßen). Und meine heiße Liebe mag diese kleine List entschuldigen.
Sie. Sie sind ein Unverschämter, mein Herr, und wenn Sie sich nicht gleich entfernen, werde ich um Hülfe rufen.
Er (aufstehend). Rufen Sie - doch betritt kein Mensch lebendig dieses Zimmer - (er dreht den Schlüssel im Schlosse herum und wirft ihn zum Fenster hinaus)
Sie. Sie schließen sich mit mir ein - mein Herr, ein solches Benehmen einem wehrlosen Mädchen gegenüber, ist abscheulich.
Er. Es ist der Mut der Verzweiflung, und Sie haben mich dazu gezwungen. Ich glühe, ich bin durch und durch Lava und Du bist kalt wie Gurkensalat, Mädchen.
Sie. Wenn Jemand käme - (Man klopft an die Mitteltür.)
Er (leise). Pst - er ist schon da -
Die Stimme. Öffne Linchen, ich bin es -
Sie. Die Tante aus Potsdam - was fange ich jetzt an?
Er. Lassen Sie mich nur machen - (er zieht einen Schlüssel aus der Tasche und versucht das Schloß zu öffnen. Dann spricht er mit weiblicher Stimme) Ich kann nicht öffnen Tantchen, es ist was im Schlüsselloch drin -
Die Stimme. Das ist recht fatal -
Er (wie oben). Es geht wirklich nicht, liebe Tante -
Die Stimme. Mache indes das Frühstück zurecht, ich hole den Schlosser.
Sie. Sie holt den Schlosser - ich bin verloren.
Er. Verloren? wieso?
Sie. Was wird meine Tante, was werden die Leute sagen, wenn man mich mit einem jungen Manne eingeschlossen findet?
Er. Sie werden gar nichts sagen können, wenn dieser junge Mann Ihr Mann ist. Noch einmal lege ich Ihnen mein Herz und meine Hand zu Füßen. Hier haben Sie indes die Hand auf Abschlag - (reicht ihr die Hand).
Sie (einschlagend). Na. wenn es denn sein muß, Sie wunderlicher Mann - aber wie kamen Sie denn auf die Idee dieser Verkleidung?
Er. Wie Sie auf die Ihrige - durch Sympathie der Herzen; denn wie wahr sagt der Dichter -
Sie (pathetisch). Zwei Seelen und ein Gedanke -
Er (eben so). Zwei Herzen und ein Schlag! - Doch höre, da wir im Stande sind, so aus dem Stegreif Komödie zu spielen, so könnten wir den Scherz am Polterabend bei - - (Name des Bräutigams) zur Aufführung bringen
Sie. Die Idee ist nicht schlecht - aber, da müssen wir noch einen passenden Schluß finden -
Er. O, der ist schnell da - ich improvisiere folgende Verse: (er tritt mit ihr vor und spricht, zum Brautpaare gewendet):
Fern sei von Euer Lieb' Euch stets ein falsches Spiel,
Und als Devise gelt': Vertrauen bis an's Ziel!
Schaut niemals, ohne Not, Euch hinter die Kulissen,
Führt auch kein Drama auf, - nein, seid nur stets beflissen,
Daß Euer Leben Euch zum frohen Lustspiel wird,
Laßt Euch von Flittertand, von Schminke unbeirrt,
Besteht in Proben treu, das Herz soufflier' allein,
Dann wird das Ehespiel ein Glück ohn' Ende sein!
Sie.
So sei's! das hellste Licht verkläre Bühn' und Haus,
Er.
Und jeder applaudier', ist einst das Lustspiel aus. -
Sie (zu ihm).
Und nun, mein Freund, zum vollen Festesglanz
Vereinen wir uns zum Großvatertanz.

(Sie tanzen ein Menuett, nach der Melodie: "Als der Großvater die Großmutter nahm," - worauf der Vorhang fällt. Will man den Tanz weglassen, dann fällt der Vorhang unter Musikbegleitung schon nach den Worten: "Und Jeder applaudier', ist einst das Lustspiel aus." - Das ganze Stückchen wird bei munterem, raschen Zusammenspiel seine Wirkung gewiß nicht verfehlen.)


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