Die Esten


Nur keine Stute! Lieber die elendste Mähre von männlichem Geschlecht, als das schönste Tier von weiblichem, um nämlich als Freier zur Braut hinzureiten. Wer das Unglück hat, kein männliches Pferdeexemplar zu besitzen und daher durchaus ein weibliches besteigen muss, der bringt es wenigstens nicht auf den Hof, sondern bindet es hinter der Pforte am Zaun an. Wehe ihm jedoch, wenn seine Schmach ruchbar wird: für Spott darf er dann nicht sorgen. Als ob es nicht schon hart genug für ihn wäre, dass er, Dank seinem unseligen Reittier, auf keinen Sohn rechnen darf, sondern sich gewärtigen muss, einst nur Töchter zur Taufe zu schicken!

Angenommen aber auch, der Freier sitze auf einem Pferde, wie es sein soll, er wird, ist er einigermaßen abergläubisch, leicht wieder umkehren, wenn ihm ein Hase oder ein altes Weib begegnet. Unternehmen tut er seinen Ritt am liebsten in den ersten Tagen der Woche und im Neumond. Der Wochenanfang soll den künftigen Hausstand gedeihen, die Neumondzeit Weib und Herden fruchtbar machen, außerdem schützt diese noch des Freiers Felder vor Misswuchs und den Mann selbst vor früher Altersschwäche. Auch den Hochzeitstag verlegt man gern in den Neumond, und die Braut richtet an diesen eine Bitte, welche ihre Sehnsucht ausdrückt, bald Mutter zu werden!

Damit sie Kinder zur Welt bringe, die nicht ungebührlich viel schreien, darf sie bei der Trauung nicht ihren klingenden Silberschmuck tragen: er wird ihr erst beim Umkleiden angelegt. In manchen Gegenden erscheint sie noch überdies dermaßen mit Tüchern vermummt, dass von ihrem Gesicht kaum die Nasenspitze herausguckt. Das böse Auge soll so wenig wie möglich von ihr zu treffen vermögen. Gleichfalls um sie so rasch wie es geschehen kann, den bösen Blicken zu entziehen, fasst der Bräutigam sie unmittelbar nach der Trauung an der Hand und läuft mit ihr eiligst aus der Kirche. In Wierland darf er sie nicht eher loslassen, bis sie in den Wagen oder Schlitten gehoben worden ist, und der Bräutigamsführer aus seiner mitgebrachten Flasche beiden einen Schluck Branntwein gereicht hat. Dann kommen später keine bösen Zungen zwischen die Eheleute.

Damit ihr auch in den Dörfern, durch welche der Hochzeitszug heimfährt, keine bösen Augen folgen und schaden, wirft die Braut in jedem ein Band aus dem Gefährt, an dessen Seite der Bräutigam reitet. Hinter dem Brautwagen kommt der "Vatermann" mit seiner Frau, dann folgen die Brauteltern und Brautjungfern und in beliebiger Reihe die Gäste. "Die Bräutigamsbuben" (peio poisid) sprengen hin und her und halten den Zug in Ordnung. Früher führten sie mit ihren Degen kräftige Hiebe gegen die bösen Geister, welche sich möglicher Weise in der Luft befinden konnten. Auch Kämpfe gegen Fleisch und Blut gab es früher bisweilen, wenn nämlich zwei Hochzeitszüge aufeinanderstießen und keiner ausweichen wollte, weil das Ausweichen eines solchen Zuges mit Unehre für die Braut verbunden ist.

Kommt der Zug glücklich in die Nähe des Brauthauses, so hält er im Revalschen ungefähr eine Werst davon an, damit die Frauen ihre Kleidung ordnen können, während ein "peio pois" voraus sprengt,


Traditionen bei Hochzeiten


um ihn anzumelden. In kürzester Zeit ist der Abgesandte wieder da, beladen mit einer ungeheuren Bierkanne, aus welcher zuerst die Brautleute und dann alle Übrigen trinken. Was da bleibt, nimmt mit großem Behagen der Überbringer zu sich, denn "wer den Bodensatz trinkt, bekommt einen Sohn", heißt es sprichwörtlich, und unser "peio pois" wird doch auch einst heiraten.

Nach der Stärkung durch das Bier setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Hat er das Hoftor erreicht, so fallen mehrere "Schreckschüsse". Die Pferde fahren zusammen und stürzen sich gleichsam in den Hof. Wehe jedoch dem Brautführer, wenn er das erschrockene und wild gewordene Gespann nicht so sicher in der Hand behält, dass es weder mit dem Wagen an die Pforte rennt, noch gar dessen Umsturz veranlasst. In beiden Fällen ist eine unglückliche Ehe vorauszusehen, besonders in dem letzteren. Das größte Unheil gibt's, wenn die Braut herausfällt. Dann räuchert man sie gleich mit Thymian ein, wodurch man den Schaden in etwas gut zu machen hofft.

Ist sie ohne Unfall bis an's Haus gelangt, so wird zuerst das Krummholz abgerissen und dann die Braut vom Wagen oder Schlitten in's Haus getragen, um dort dreimal in die Höhe gehoben zu werden. Dem Bräutigam widerfährt das Gleiche, doch sind dazu zwei stämmige Bursche nötig. In's Haus durft' er auf eignen Füssen kommen; beim Einreiten in den Hof aber eilte ihm Einer entgegen und löste ihm den Sattelgurt auf, was dieselbe Wirkung haben soll, wie die gleiche Handlung der schwedischen Braut: eine leichte erste Entbindung der jungen Frau. Das Aufheben bedeutet, je höher es geschieht, je mehr Glück; ein für alle Mal befördert es das Gedeihen des Flachses und des Hanfes.

Hierauf folgt das Opfer, welches die Braut am Herde der "tule-ema" und am Brunnen der "wete-ema" darbringt. Diese alten Gottheiten, die Feuer- und die Wassermutter, begehren nicht viel, nur kupferne Viertelskopeken, aber die müssen sie haben. Das Opfer der Wassermutter liegt im Brunnen sicher genug, dagegen könnte das der Feuermutter von böswilliger Hand leicht wieder hervorgeholt werden, säße nicht am Herde eine "Feuerwache", die schon seit dem Aufsetzen des Suppenkessels darüber gewacht hat, dass kein Zauberer den gefürchteten "Hexenwisch" in's Feuer werfe. Früher bekam die Feuerwache von der Braut ebensogut Geschenke, wie die Führer des Brautwagens, die "Schreckschützen", der "Krummholzüberwinder" und die Mägde und Knechte des Hauses. Jetzt sind diese Gaben weggefallen, nicht minder die wollenen Strümpfe und Handschuhe, mit denen die Hochzeitsgäste beschenkt wurden, und diese empfangen von der Braut weiter Nichts mehr, als einen Bissen Salz und Brot.

Sobald sie geopfert hat, wird sie nämlich an das obere Ende des Tisches hingesetzt und ihr zuerst ein kleines Kind und darauf Brot und Salz auf den Schoß gegeben. Davon muss sie allen Anwesenden einen Bissen reichen, zuletzt selbst einen genießen, und dann kann sie gewiss sein, dass es in ihrem Hause an diesen beiden vornehmsten Nahrungsmitteln nie fehlen werde.

Dass mit der scheidenden Tochter sich das Glück nicht aus dem Vaterhaus verliere, muss sie nun einen Rundgang durch alle Gemächer des Hauses und alle Ställe des Hofes tun. Über jeder Tür wird mit einem Schwert ein Kreuz gemacht, wie es schon mit der Haustür geschehen, bevor man die Braut hineingetragen.

Bis jetzt hat sie noch immer in ihrer Vermummung gesteckt, nach beendigtem Rundgang erst wird sie von einigen ihr verwandten Frauen in das Putzgemach geführt, ihrer Hüllen entledigt, gewaschen, gekämmt und mit dem Festschmuck angetan. Die Verwandtschaft des Bräutigams fängt bald an, auf die Saumseligkeit der Braut beim Ankleiden zu sticheln, die Freundinnen der Braut antworten durch eine Kritik des Bräutigams. Diese gegenseitigen Artigkeiten werden allerdings gesungen, klingen aber darum nicht minder scharf und arten bisweilen in unangenehme Handgreiflichkeiten aus.

Beim Mahle wird die fertig geschmückte Braut neben den Bräutigam oben an den Tisch geführt. Im Werroschen muss sie auch jetzt drei Viertel des Gesichtes durch ein Tuch verhüllt haben. Die Etikette verlangt auch, dass sie zu blöde sei, um zu essen; nur halb mit Gewalt darf sie sich nach





langem Zureden einige gute Bissen, etwa fettes Schweinefleisch, in den Mund stopfen lassen. Von einem ganzen Brote schneidet der "Bräutigamsknecht" ein ganz kleines Stückchen ab, tut Butter darauf und steckt es ebenfalls der Braut in den Mund, damit ihre künftigen Kinder einen kleinen Mund bekommen mögen. Im Werroschen wird ein besonderes "Hochzeitsbrötchen" (saaja-kak) gebacken, welches auf dem Tische stehen bleibt, so lange die Feier dauert. Oben hinein macht man eine Öffnung wie ein Hühnerei, in welche man von Zeit zu Zeit Branntwein gießt, und Dank dieser Vorsorge wird es im künftigen Haushalte nie an Brot und Branntwein mangeln, ebensowenig wie an Bier, wenn beim Hochzeitgelage hinreichend davon verschüttet worden ist. Andere behaupten, das Bier werde nicht zu diesem Zwecke, sondern bloß als Opfer für die Schutzgeister des Hauses verschüttet, für die "unterirdischen Hauswirte", wie man in einigen Gegenden sie nennt. "Wenn wir in guten Tagen ihrer gedenken", heißt es, "werden sie uns in bösen Tagen nicht vergessen". Und böse Tage können kommen, wer weiß das nicht. Selbst wenn keine der bereits erwähnten üblen Vorbedeutungen den Festmorgen getrübt, so können die Verwünschungen ungeladener Gäste, die von dem Genuss des Hochzeitsmahles ausgeschlossen bleiben, auf das Traurigste das Glück der Ehe untergraben.

Wenn das Brautpaar bei Tische sitzt, werden über ihm zwei bloße Degen mit Gewalt in die Wand gestoßen: über wessen Haupt der Degen am längsten nachzittert, der lebt am längsten. Auch werden im Hochzeitshaus zwei Lichter angezündet, eines für den Bräutigam, eines für die Braut, und wessen Licht am schnellsten abbrennt, der stirbt zuerst. Ebenso derjenige, welcher in der Brautnacht, in der nebenbei der Neuvermählte noch nicht Gatte werden darf, früher einschläft, als der Andere.

Bei der Fahrt in das Haus des Bräutigams muss das Anprallen mit dem Wagen und das Umwerfen mit demselben ebenso ängstlich vermieden werden, wie beim Heimkommen aus der Kirche. Das Aufheben fällt fort, nicht minder das Kind auf dem Schoss und das Verteilen von Salzbrot. Dagegen wird auch hier das Opfer für Feuer- und Wassermutter vollzogen, und zwar gleich bei dem Rundgange, welcher unmittelbar nach dem Betreten des Hauses begonnen wird.

Schlafen müssen die jungen Gatten im Werroschen die erste Nacht im Viehstall, wo ihnen ein Lager bereitet und ein gutes Abendmahl aufgetragen wird. Dieses wird verzehrt, wenn sie sich niedergelegt haben, damit sie stets auf gesegneten Viehstand und gefüllte Speisekammer rechnen dürfen. In einigen Gegenden des Dörptschen erlangen sie nicht früher das Recht auf ein eigenes Bett, als bis die junge Frau ein Kind geboren hat; bis dahin müssen sie schlafen, wo sie können: Winters im Stall, Sommers auf dem Heuboden. Wenn es an ihrem Hochzeitstage geregnet hat, so mag der so notwendige Sprössling wohl etwas länger auf sich warten lassen, denn eine verregnete Hochzeit bedeutet, die Braut werde viel auszustehen und daher viel zu weinen haben.